Berlin, den 28. Juli 1799.
Meine gnädige Gräfin und Freundin! Es würde vergeblich sein, Ihnen mein Gemüt schildern zu wollen, über die Vgl. An Böttiger, 18.11.1797.
[Schließen]plötzliche Abänderung des Schicksals, die Sie betroffen hat. Hirt hatte mit der Gräfin in Rom einen
kunsthistorischen Kursus absolviert und sie beim Ankauf von Kunstwerken
beraten. Die Gräfin hatte sich beim König Friedrich Wilhelm II. für eine
Anstellung Hirts in Berlin eingesetzt, woraufhin er im September 1796
nach Berlin gekommen war und zum Mitglied sowohl der Kunst- wie der
Wissenschaftsakademie ernannt wurde.
[Schließen]Da ich die Zeit und Gelegenheit hatte, Ihre menschenfreundliche
Denkart kennenzulernen, so blieb ich auch im voraus überzeugt, daß keines der Verbrechen, die
von Ihren Feinden so häufig im Publikum ausgestreut wurden, Sie betreffen
konnte. Aber Sie waren einmal unglücklich, und da fand die Auf die Gräfin Lichtenau erschienen unzählige
Pamphlete, Karikaturen und Spottgedichte, darunter auch eine
karikaturhafte Büste der Gräfin (anonym, um 1798, heute: Stiftung
Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Skulpturensammlung
4003; vgl. SPSG, Friedrich Wilhelm II. und die Künste, Kat. Nr. I.49;
Hagemann, 2007, S. 64 und Abb. 39).
[Schließen]Schadenfreude kein Ziel zu neuen Verleumdungen, zu neuen Gebrechen. Sie können sich
vorstellen, wie zerrissen mein Gemüt war, alles das mit anhören zu müssen. Wo
ich konnte, erhob ich natürlich meine Stimme entgegen: aber was hilft das Organ
eines Einzigen gegen das Rasen von Tausenden! Die Anzahl Ihrer Feinde war zu
groß, und sie umgaben den besten König zu nahe, um Ihnen nicht selbst aus dem, daß man Sie nicht
schuldiger fand, ein Verbrechen zu machen. Deswegen sah ich auch vor Endigung
des Prozesses voraus, daß Sie auf jeden Fall das Schlachtopfer, auf welches die
wahren Verbrecher ihre Sünden häuften, sein würden. Wie gern hätte ich Ihnen
manchmal ein Wörtchen des Trostes gesagt! Aber was sind Worte ohne Hilfe bei den
wütenden Stürmen, die Sie verfolgten? - Was ich voraussah, ist jetzt zum Teil
auch schon eingetreten. Die Leidenschaften des Publikums haben sich gelegt: man
sieht jetzt, wie ungerecht man Beschuldigung über Beschuldigung auf Sie häufte:
und viele, welche selbst vorher Rache gegen Sie schnaubten, fühlen jetzt
Teilnahme und Mitleiden. Dies kann allerdings einem gefühlvollen Gemüte, wie das
Ihrige ist, nicht gleichgültig sein. Freilich bleibt es immer nur ein schwacher
Trost, wenn man nicht wirklich zur tätigen Hilfe vermögend ist.
Brief erschlossen: [Von der Gräfin Lichtenau, vor
28.07.1799].
[Schließen]Ihr Brief, aus welchem ich ersah, daß Sie mir fortdauernd das nämliche Zutrauen wie
ehedem schenken, hat mir deswegen viele Freude gemacht. Ich war bei seiner
Ankunft abwesend, denn ich machte eben eine Vgl. An Böttiger, 27.09.1799.
[Schließen]kleine Reise nach Hannover, um dort meine
alten italienischen Freunde, die Grafen von
Münster und Tatter, zu
sehen. Ich habe Ihnen nicht sogleich geantwortet, weil ich eine Gelegenheit
abwarten wollte: weil ich weiß, daß man noch immer aufmerksam auf die Briefe
ist, die an Sie adressiert sind.
Mit dem Prinzen
Prinz August von England hielt sich zu dieser
Zeit in Berlin auf; vgl. An Böttiger, 07.12.1798, Postskriptum.
[Schließen]spreche ich sehr oft von Ihnen; er nimmt wirklich wahren Anteil an Ihrem Schicksal und verspricht und
hofft noch immer, daß er Ihnen würde behilflich sein können. Allein, um nicht
als Engländer einer Parteilichkeit beschuldigt zu werden, kann er nicht geradezu
reden, sondern er ist gezwungen, auf eine Gelegenheit zu warten, um dann eine
bestimmte günstige Vorsprache einzulegen. Auf jeden Fall meint er so wie ich,
daß es sehr gut sein würde, wenn alle Ihre Geschäfte mit den vielen Prätendenten
an Ihr Mobiliarvermögen berichtigt wären; denn dies würde auch ein
Bewegungsgrund mehr sein, um den König
zu Nach vielen Bittgesuchen erlaubte ihr der König
am 18. Oktober 1800 Glogau zu verlassen und nach Breslau überzusiedeln.
1802 heiratete sie noch einmal, doch die Ehe scheiterte. 1809 erhielt
sie vom König einen Teil ihres Vermögens zurück. Nach einem Aufenthalt
in Paris lebte sie ab 1811 zurückgezogen wieder in Berlin (nach:
Hagemann, 2007, S. 64f.).
[Schließen]Ihrer Befreiung zu vermögen. Wäre dieses berichtiget, so glaube ich, daß Sie auch selbst
eine neue Bitte an den König
erlassen könnten, oder aber daß Ihre gute, alte Mutter, oder Ihr Sohn persönlich eine solche Bitte
wagten. Der König
ist gut und gnädig, aber man muß zu seiner Zeit bitten!
Ich sah den Prinz noch gestern abend: er ist nicht wohl, und da ich ihm sagte, daß ich Ihnen heute schreiben würde, so gab er mir auf, Sie in seinem Namen freundlich zu grüßen.
Sie fragen, was ich mache? Ich lebe hier so still, wie ein Mäuschen. Die Bücher
sind meine Gesellschaft: ich sehe gar weiter keine hiesigen Häuser, außer der
Mit Wilhelm Mila, dessen Frau Charlotte Louise, geb. Savary, und den Kindern Wilhelmine
Charlotte Auguste Adelaide und Auguste Paul Emile (1800 kommt ein weiterer Sohn Louis Maximilian
zur Welt) unterhielt Hirt einen regen Kontakt, sie wohnten im
selben Haus. Der am 24. Oktober 1798 geborene Paul Mila, später ein
talentierter Maler, war Hirts leiblicher Sohn.
[Schließen]Familie eines Predigers
, der Letzte Straße Nr. 1.
[Schließen]in dem nämlichen Hause wohnt. Ich bin übrigens gesund und nach meiner Art ziemlich vergnügt und
glücklich. Aber einen großen Zuwachs meiner Zufriedenheit würde ich dadurch
erhalten, wenn ich Sie frei und Ihren wenigen Freunden, die Ihnen geblieben
sind, zurückgegeben wüßte. Doch Ihr jetziger Zustand, so unglücklich er auch
ist, wird nicht immer dauern, und ich habe Grund zu hoffen, daß der zu
erwünschende Augenblick für ein besseres Schicksal nicht mehr zu fern sei. Sein
Sie, beste Freundin, also gesetzten Mutes! Suchen Sie so viel als möglich das
Gute und Böse der Vergangenheit zu vergessen und dadurch aufgelegter zu sein,
sich in eine bald zu hoffende bessere Gegenwart zu finden. Da Klagen und Tränen,
so gerecht sie auch sind, nur für den Moment lindern, so suchen Sie sich soviel
als möglich zu zerstreuen und Ihren Blick von so viel schwarzen Bildern der
Vergangenheit und der Gegenwart abzuwenden. Der Tag Ihrer Befreiung wird ein Tag
der reinsten Teilnahme und Freude sein - für Ihren immer unwandelbaren Freund