Empfindungen
über einige Gemälde in dem
Arbeitszimmer der Frau Angelika Kauffmann-Zucchi.

I.
Euphrosine, von Amor in eine Hand / verwundet, bringt ihre Klage vor / die Mutter.

Euphrosine klage dich der Wunde dich nicht, die dir dein loser Bruder versezt. Siehst nicht, wie er am Schooße der Mutter gelehnt, mit schlauen Blicken dich höhnt? – kein Mitleid, keine Mine der Ahndung blickt in dem Auge der holdlächelnden Mutter. – Beklage dich nicht – denn du selbst warst nie mehr grazie als iezt.

II.
Psyche wird von Amor am Ende ihrer / Leiden getröstet. Zarte Psyche, du hast viel der Leiden erduldet, seitdem dir dein Geliebter entfloh. Doch sieh! er kehret ja wieder, schlinget um dich auf’s neue das magische Band: nicht von Ambrosia, von deinen Thränen sollen sie träufen – seine goldenen Locken – Blick auf von der blaßen Ermattung – Er ist’s mit dem holdblickenden Auge, in der Blüthengestalt. | 8

III.
Besuch der schönen Phryne / bey dem Weisen Xenocrates
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„Wollust bethörnt den menschlichen Sinn.“ so lehrte Xenocrat Athens Jünglinge einst. Erfahrung hatte zuvor dieß den Weisen gelehrt. – Doch Phryne, über Herzen zu siegen gewöhnt, erscheint, im leichten Gewande geschürzt, zur Stunde der einsamen Ruhe – die braunlokigen Haare mit Rosen begränzt beginnt sie den Wettstreit – Zauber im Auge, Lächeln im Munde, Verlangendes Athmen des – versuche es nicht, o Phryne! Du zerstreuest den Weisen, du besiegest ihn nicht! –

IV.
Praxiteles übergiebt der schönen / Phryne das Bild des Amors.
- So – sprach zur schönen Zauberin Phryne der Bildner Praxiteles einst: „Du gabst mir vom Gotte, der Freuden und Schmerzen nach Launen ertheilt, das geistige Bild – nimm es nun wieder – im Steine zurück!“ – | 9

V.
Numa Pompilius mit der Nymphe / Egeria
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Ist dieß die hohe ernste Mine der Göttin, die im einsamen Hain, am leisesprudelnden Quell der dunkelbeschatteten Höhle, den Curischen Liebling zu hohen Bestimmungen weihet? – So sizend empfieng er mit tiefhorchendem Sinn die höhern Lehren, welche Rom’s rohtapfern Söhne an Ordnung und Sittlichkeit banden. – Bist du selbst eine Geweihte, die mit dem Zauber des Pinsels dich so tief in’s Heiligthum wagtest? –

VI.
Auf das Bildniß der Dichtersängerin Bandettini. Begeistert stehet sie da – den Wettstreit der Musen mit den Syrenen besingend – begeistert in Mine und stellung – gen begeistert durch der Farben Zauber im Bilde –
Bandettini! Kauffman! - kann der Euch sieht,
es weniger seyn? – | 10

Diese Frau Bandettini von Lucca machte den ganzen vorigen Winter die delicen(?) von allen empfindsamen Seelen und schönen Geistern Roms. Alle, die ehemals die berühmte Corilla in ihrer Blüthe hörten, glauben, daß Bandettini diese weit an Leichtigkeit und gewandtheit des Geistes übertreffe. Ich hörte sie selbst mehrere malen, und obwohl ich sonst kein großer Bewunderer der Stegreifsängerey bin, so fand ich doch, daß sie alles weit übertrift, was ich in dieser Art vielfältig hörte. Frau Angelica hatte sie sehr viel um sich, am unteren Randund machte ihr Portrait, da ß s durch in attitude, Karakteristik und Farbe alles vereiniget, was Angelica je gemacht hat.
Diese Frau war ehedem eine Tänzerin, der weder ihre Figur, noch die Geschicklichkeit ihrer Beine großen Beyfall vom Publikum zuzogen. –