Rom den 27ten May 1792.

Ich bin Ihnen, meine Gnädige Frau, so viel schuldig, daß ich erröthe, wenn ich daran denke, auf so viele zuvorkommende, trauliche Güte noch kein Zeichen meines Lebens, meiner Dankbarkeit gegeben zu haben. Entschuldigen will und kann ich mich nicht. Ich hatte zwar seit 6 Monaten her im strengsten Verstande nicht einen Tag frey für mich; in einem anhaltenden Wirrwarr mußte ich mit einer Menge Fremden meiner Bekanntschaft, die dieß Jahr Italien besuchten, fortleben. In einem solchen tumultuösen Zustande findet sich das Gemüth wenig aufgelegt, mit Abwesenden sich zu unterhalten, mit denen man ein Wort vertraulich, mit Gefühl, mit Seele sprechen möchte. Man zögert, man erwartet immer diesen ruhigern Augenblick, und so eilet die Zeit mit einer Schnelligkeit vorüber, derer zurückgelegten Raum man erst bey ruhiger Überlegung gewahr wird. Noch dauert täglich meine Beschäftigung mit Fremden fort, und vor Im Gedenken an den überlieferten Todestag der Apostel Peter und Paul wird der 29. Juni als Festtag begangen.
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S. Peter
wird s dieselbe auch nicht aufhören.

Unter dieser Strenge lernte ich verschiedene sehr schäzbare Personen kennen, worunter auch allerdings diejenigen gehören, die ich vermittelst Ihrer Zuschrift an mich kamen. Die Henriette von Egloffstein hielt sich mit ihrem Mann von Sommer 1791 bis Juni 1792 auf einer Bildungsreise in Italien auf.
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Gräfin v. Egloffstein
verbindet mit einem edlen Herzen mannigfältig schöne Fähigkeiten, welche Ssie hier mit vielem Fleiß auszubilden suchte. Sie reiste von Anfang dieses Monats nach Venedig ab. Dem Braven | 2 Stuve war ich sehr zugethan; Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes trat Johann Stuve am 18. April 1791 eine einjährige Reise in die Schweiz und nach Italien an. Anfang Juni 1792 kehrte er nach einer längeren Seereise nach Braunschweig zurück; kurz darauf, am 25. Juni 1792, starb seine Frau; er selbst ein Jahr später, am 12. Juli 1793.
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sein Schicksaal
gieng mir nahe, auf den Rath der Ärzte machte er seine Rückreise von Neapel aus zur See. Seither hörte ich nichts von ihm. Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg hielt sich mit seiner Frau Agnes 1791 bis 1792 in Italien auf, begleitet von Georg Arnold Jacobi und Georg Heinrich Ludwig Nicolovius. Die Reise beschrieb er in dem Werk "Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien in den Jahren 1791 und 1792" (Königsberg und Leipzig 1794). Darin berichtet Stolberg auch über den Kursus mit Hirt, der im Dezember 1791 begann: "Diesen Morgen besahen wir mit und unter der Leitung des Alterthum- und Kunstkundigen, Herrn Hirt, die Ueberbleibsel der Thermen des Diocletian. Der Name Thermen kann leicht irre führen; man vermuthet nur warme Bäder, und diese waren eine Nebensache. Die Hauptsache der sogenanntenThermen war, Anstalten anzulegen zu Uebungen des Leibes und des Geistes. Der Plan und die Ausführung übersteigt alle Vorstellung. […] Nahe bei diesen Thermen ist die schöne fontana dell' acqua Felice […] Von dort gingen wir in die Kirche Santa Maria Maggiore" (zitiert nach: Stolberg, Reise, 1. Bd., S. 306-308). Vermutlich hat er auch viele der im Folgenden beschriebenen Besichtigungen unter Führung Hirts gemacht. Vgl. dazu den Brief Stolbergs an Gerhard Anton von Halem vom 11. Januar 1792 : "Wie beleben sich, unter den grossen Trümmern Roms die Geschichtsschreiber! Wie lebendig fliegen, gleich dem Phönix, hier die alten Dichter aus ihrer Asche empor! Virgil u[nd] Horaz, Catull, Ovid, Properz, der zartempfindende Tibull, reden einem hier viel vernehmlicher u[nd] tönender, wenn man mit dem Klima, den Gegenden, dem Local überhaupt bekannt wird. Alle Vormittage irren wir, oder vielmehr werden von Hirt, einem sehr alterthumskundigen Cicerone geleitet, zwischen den Ruinen in u[nd] vor der Stadt; in die Musäums, in die Gallerien. Hier sind Meisterstücke der Kunst von so vielen Zeiten u[nd] Völkern! " (zitiert nach: Stolberg, Briefe, 1966, S. 279–280). - Am 2. Februar 1792 reiste die Gesellschaft nach Neapel weiter.
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Mit dem Grafen v. Stolberg brachte ich auch einen herrlichen Monat zu.
Sein Sinn hat sich für viel ein gesehenes, ein Gefühltes sehr geöfnet. Die Gräfin, eine brave Frau, wenn man sie näher kennet, ist bereits vor Ostern in Neapel glücklich von einer Die am 2. April 1792 geborene Sybille Johanna Amalie zu Stolberg-Stolberg starb bereits am 29. August desselben Jahres.
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Tochter
entbunden worden. Bey der Rückkunft aus Sizilien werde ich diese ganze Familie wieder sehen. Er brachte mir Ihre Briefe über Manheim, und das Paket Wohl Friedrich Karl (Fritz) von La Roche gemeint. Möglich ist auch Georg Karl (geb. 1766).
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Ihres Sohnes
richtig zu. Auch hatte ich schon vor dem Empfang Brief(e) erschlossen: [Von Sophie von La Roche, vor 27.05.1792]. Die Formulierung "letzter Brief" weist auf weitere Briefe hin.
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Ihres lezten Briefes
, und Zu erschließen sind zwei Schreiben [Von Fritz von La Roche, vor 27.05.1792] .
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dem zweyten Ihres Sohnes
Sachverhalt nicht ermittelt.
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das Paket an den bestimmten Ort nach Frankreich
abgesandt. Ich erhielt seither keine Antwort, und bin daher noch in Furcht, daß bey den herschenden Unruhen es auf der Post nicht verloren gegangen seyn möchte. - Ihre Briefe über Manheim habe ich mit dem Intereße g l e lesen, das dieselben verdienen, und mit welchem ich alle Ihre Schriften lese. Man muß Ihren leichten, offenen Beobachtungsgeist, Ihr inniges Gefühl von Güte, Ihren heitern, und über das menschliche Schicksaal so geprüften Geist haben, um alle Situationen so lebhaft, mit so viel inniger Theilnahme, und mit so viel Leichtigkeit des Ausdruckes schildern zu können. Wieland mein Lieblingsschriftsteller, und Frau v. LaRoche der weibliche Wieland! - die nemliche Grazie des Geistes, die nemliche Fülle des Gefühls, eben jener biegsame, der Sache sich anpaßende, volle Ausdruck der Sprache. - Meinen Dank auch in dieser Rücksicht! | 3

Ich nehme den innigsten Antheil an dem Leyden über den Franz Wilhelm von La Roche war am 11. September 1791 im Alter von 23 Jahren "an einer Entzündungskolik" gestorben, nachdem er erst kurz zuvor seine erste Stellung als hessisch-darmstädtischer Forstassessor angetreten und sich verlobt hatte (vgl. den Brief von Sophie von La Roche an Elise zu Solms-Laubach, Offenbach, 14.09.1791, in: SvLR-Briefe, Leipzig 1985, Nr. 207, S. 331).
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Verlust Ihres jüngsten Sohnes
Ich begreiffe, welcher Schmerz es für eine Mutter - um einen solchen Jüngling - seyn muß. Der Himmel gebe Ihnen Stärke, und laße Sie selbst Trost in dem Gedanken finden, daß er seiner Mutter, und des Himmels werth war. - Auch thut mir sehr leid, Fritz von La Roche hatte nach seiner Heirat mit der vermögenden holländischen Witwe Elsy de l'Espinasse ein Haus in Offenbach, in der Nähe seiner Mutter, gekauft, was diese auf einen soliden Lebenswandel und ein glückliches Familienleben ihres Sohnes hoffen ließ, der zu dieser Zeit als Kavalleriehauptmann in französischen Diensten stand. Sophie von La Roche beschreibt ihren ältesten Sohn als schön und talentiert, aber auch als leichtsinnig, unstet und eigennützig. 1792 wanderte er mit seiner Familie nach Amerika aus, zerstritt sich mit seiner Frau, die er mittellos verließ. Zeitweilig war er in Rußland verschollen (vgl. SvLR-Briefe, 1983, S. 266, 31). - Wie aus einem Brief Hirts an Fritz von La Roche vom 9. Oktober 1797 hervorgeht, hielt sich dieser zusammen mit seiner Frau und seiner jüngsten Tochter vor seiner Ausreise nach Amerika in Rom auf und traf dort mit Hirt zusammen.
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daß Sie von Ihren vortrefflichen Kindern Friz, und Elzy entfernt leben müßen
, und der Himmel weiß, auf wie lange. Zwar versprechen Sie mir im Jahre -95 Eine Reise nach Italien hatte Sophie von La Roche bereits nach dem Tod ihres Mannes 1789 geplant; diese kam jedoch nicht zustande, so wie auch spätere Vorhaben nicht realisiert wurden. Wiederholt hatte sie Wieland vorgeschlagen, sie nach Italien zu begleiten. Als ihre Tochter Maximiliane Brentano bereits 1793 starb, nahm sie von deren acht unmündigen Kindern drei Mädchen bei sich auf, was wohl weitere Reisen vorerst verhinderte.
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wieder in Rom zu seyn
, mit Sehnsucht werde ich der Erfüllung dieses Versprechens entgegen sehen. -

Und Sie, meine gnädige Freundin! Sophie von La Roche unternahm 1784, 1789 und 1792 Reisen in die Schweiz (vgl. "Tagebuch einer Reise durch die Schweiz", Altenburg 1787; "Erinnerungen aus meiner ditten Schweizerreise. Meinem verwundeten Herzen zur Linderung vielleicht auch mancher traurenden Seele zum Trost geschrieben von Sophie, Wittwe von la Roche", Offenbach 1793), des weiteren 1785 nach Frankreich (siehe ihr "Journal einer Reise durch Frankreich, von der Verfasserin von Rosaliens Briefen", Altenburg 1787), und 1787 nach Holland und England (siehe "Tagebuch einer Reise durch Holland und England von der Verfasserin von Rosaliens Briefen", Offenbach 1788).
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entfernen sich zum drittenmal
von den Grenzen Italiens. Wie? sollen denn meine besten Wünsche immer getäuscht werden? - Gewiß sollte es mir unaussprechlich lieb seyn, die Frau, welche so viele Güte des Herzens für mich hat, die ich seit meiner ersten Jugend so sehr verehre, die Mutter von Friz und Elzy La Roche, in den Mauren Rom's persönlich kennen zu lernen, und bey jedem Schritt, den sie in der unvergänglichen Stadt thun würde, ihr Begleiter, ihr Mitfühlender zu seyn. Sie haben viel gereiset, viel gesehen, viel beobachtet, und mit welchem Auge, mit welcher Vorkenntniß! - kommen Sie nach Italien, nach Rom, und Sie finden eine neue Welt - in Trümmern zwar, aber Ihr Geist schaffet dieselbe sich lebendig, gegenwärtig. Sie werden in ihr wandeln - und mit einem Blick in sich gekehrt ausrufen: Es waren Menschen. - Auch das moderne Italien verdient Ihre Aufmerksamkeit: Die Frauenwelt dieses Landes möchte ich von Ihnen geschildert sehen. Sie würden gewiß unpartheyisch seyn. - Sie würden manches, was diesem Geschlechte hier mangelt, und so sehr zu wünschen wäre, | 4 in dem Quell aufspüren, und die herrlichen Spuren, die da und dort durchblicken, nicht verkennen - mit Nachsicht beurtheilen. Kommen Sie: Die Reise ist weniger beschwerlich als man gemeiniglich denkt. Ich reise Ihnen entgegen, und bin bey Ihnen, wo Sie mich haben wollen. Im August müßten Sie abreisen, den September in Oberitalien, und im Oktober zu Rom seyn.

Ich hätte diesen Sommer auch gerne eine kleine Reise nach Deutschland gemacht, um meine lieben Ältern auf dem Schwarzwald zu besuchen. Aber ich konnte seit mehr als einem Jahre so wenig für mein eigen Studium thun, daß ich diese Sommermonate nothwendig für mich verwenden muß, weil ich gedenke auf den Herbst Eine solche Publikation konnte nicht nachgewiesen werden.
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ein Buch
zum Behuf der Fremden, die mit mir Rom besehen, in französischer Sprache drucken zu laßen. Auch möchte ich Vgl. dazu die später gedruckten Auszüge "Aus meinen Reiseheften; Mittheilungen des Herrn Hofrath Hirt. I. Erinnerungen aus Sicilien" (vgl. die Anmerkung zu Hirts Brief an Anna Amalia, 11.05.1791).
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meine Papiere über Sicilien, Calabrien, und Malta
in Ordnung bringen. Unter den vielen Fremden, die ich diesen Winter begleitete, war auch der Prinz August von England , und in wenigen Tagen erwarte ich die Rückkunft des Fürsten v. Auersperg aus Neapel.

Herr Pietro Giuntotardi wurde von den Rom-Besuchern des öfteren als Italienischlehrer engagiert, so 1803 von dem Erbgroßherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz, später auch von Elisa von der Recke. Während ihres Aufenthaltes in Rom 1805 erteilte er Germaine de Stael Italienischunterricht (vgl. dazu Müller, 2012, S. 43). - Der Dichter gehörte, wie auch der mit ihm befreundete Fernow, der ihm später seine italienische Grammatik widmete, Ende der 1790er Jahre einem republikanischen Zirkel in Rom an, der "Repubblica Romana". Am 25. Mai 1798 schreibt Zoëga an Friederike Brun: "Sie finden den sanften guthmüthigen furchtsamen Giuntotardi unter den gesezgebenden tribunen, und Fernow den abstracten Kantianer als volksprediger das evangelium von menschenrecht und pflicht verkündend von der tribune des circolo constituzionale. stat der vorlesungen in Domeyer's zimmerchen in deutscher sprache und bey verschlossener thüre, und mit auflauern vor der thüre und innerhalb" (Zoëga-Briefe, Bd. 4, Nr. 756, S. 84-85). Er floh nach dem Ende der Repubblica Romana (Auflösung Ende Mai 1798) nach England. Am 29. August 1801 schreibt Zoëga an Friederike Brun: "Giuntotardi ist in England" und am 3. Juli 1802 aus Rom: "Giuntotardi grüßt. Er ist seit anfang Winters wiederum hier" (Zoëga-Briefe, Bd. 4, Nr. 901, S. 388; Nr. 965, S. 499).
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Abbe Giuntotardi
, den ich öfters sehe, und mir unter allen seinen Landsleuten der liebste ist, empfiehlt sich Ihnen.

Dank für so viele Güte - gedenken Sie meiner in Freundschaft, und nehmen Sie die Zusicherung an, daß einer Ihrer eifrigsten Verehrer in den Mauern Rom's weilet

Meiner gnädigen Frau
ganz ergebenster gehorsamster
Aloys Hirt.