Rom den 1 Dec. 1792.

An Herrn Pfarrer J. C. Lavater

Vor einigen Tagen reiste Heinrich Mylius aus Frankfurt von hier ab, der bis mitte oder Ende Jenners in der Schweiz zu seyn gedenkt. Ich gab demselben eine Kleinigkeit für Sie mit. Sie besteht in einem Gemeint ist eine Kopie des Florentiner Porträts von Bindo Altoviti, das ca. 1515 von Raffael gemalt und lange Zeit für ein Selbstporträt Raffaels gehalten wurde. Es hing für ca. 300 Jahre im Palazzo Altoviti. - Zur Geschichte des Bindo Altoviti-Porträts vgl. David Alan Brown / Jane van Nimmen: Raphael and the Beautiful Banker. The Story of the Bindo Altoviti Portrait. New Haven, London: Yale university Press, 2005. - Lavater hatte Raffael in seinen "Physiognomischen Fragmenten" charakterisiert (u.a. Bd. 3, 1777, S. 58ff.). - Lavater, der auch selbst zeichnete, besaß ein Kunstkabinett von ca. 30000 Zeichnungen, Druckgraphiken und Silhouetten; etwa zwei Drittel davon sind im weitesten Sinne Porträts, sowohl von Zeitgenossen als auch von historischen Persönlichkeiten, die zu einem großen Teil als physiognomisches Studienmaterial dienten (vgl. dazu: Karin Althaus: "Die Physiognomik ist ein neues Auge." Zum Porträt in der Sammlung Lavater. Diss. Heidelberg 2010 - Open-Access-Veröffentlichung).
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Porträt Raphaels
, das – unbezweifelt von der eigenen Hand des Meisters – als das beste – im Palast Altoviti zu Florenz aufbehalten wird. Ich ließ dasselbe diesen Herbst – bey meinem Aufenthalt alldort – von einem deutschen Miniaturmahler Grunde in seiner eigen erfundenen, noch niemand bekannten Manier die [Von griech.: enkauston - eingebrannt]. Eine künstlerische Maltechnik, bei der in Wachs gebundene Farbpigmente heiß auf den Maluntergrund aufgetragen werden. Ihre Blütezeit erreichte sie in der Kunst der griechisch-römischen Antike (Wikipedia).
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Encaustik
zu behandeln – copiren.

Der Erfinder schreibt iezt an dem traktat für den Druck, worin er darthun will, daß alle Arten der Neuern - die Encaustik zu behandeln - | 2 falsch, die seinige hingegen einzig den Requisiten entspräche, welche sowohl nach den Autoritäten der Alten, als nach der Natur dieser Mahlerey erfodert würden.

Um ein Wort über die Miniatur selbst zu sagen – ist das ganze zwar mit viel Fleiß gemacht, aber das Eigenthümliche des Originals – in den zu aufgeworfenen Lippen, in der zu hängenden Nasespize, in den zu glatten (zu wenig borstigen) Augenbraunen, in dem zu unförmlichen Halse – ist nicht drin. Selbst in den Haaren ist etwas zu Glattes, und hängendes, das die individuelle Karakteristik des Malers, und des Gemalten verwischt. übrigens die bestgerathene Copie, die ich je hievon sah.

Dieß zum freundschaftlichen Andenken von Aloys Hirt.