Berlin den 24 ten Nov. 1798.
Obwohl Sie mich, mein bester Freund solange auf Ihre Nachrichten schmachten laßen: und ich gerne deswegen mit Ihnen zürnen möchte; so kann ich doch dem Bedürfniß, mit Ihnen einiges zu plaudern, nicht wiederstehen.
Die Propylæen, ungeachtet meiner
Bemühungen, sie bald zu besizen, hab ich erst vor kurzem erhalten können. Die "Einleitung" im 1. Band, 1. Stück, S.
III-XXXVIII, stammt von Goethe.
[Schließen]Die Einleitung
ist meisterhaft geschrieben, und erreget die höchste Erwartung. Kennen
Sie einige von den Mitarbeitern? – Das I. Stück "Ueber Laokoon" (S. 1-19) ist von
Goethe verfasst; das II. Stück "Ueber die Gegenstände der bildenden
Kunst" (S. 20-54) stammt von J. H. Meyer mit starker Überarbeitung durch
Goethe.
[Schließen]Die Verfaßer des 1ten Stückes scheinen
Göthe, u. Meyer zu seyn: nur über den Das III. Stück "Ueber Wahrheit und
Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke. Ein Gespräch" (S. 55-65) ist von
Goethe verfasst.
[Schließen]Verfaßer des III
ten
Abschnittes, Ein Gespräch
: bin ich zweifelhaft. Wenn ein solches journal in Deutschland gedeihen kann, so wird es
gewiß unter dem Goethe.
[Schließen]Namen des Herausgebers gedeihen: und ich gestehe, daß ich nicht ungerne Mitarbeiter wäre, wenn anders meine etwas verschiedene
Grundsäze sich mit andern Aufsäzen paaren
könnten. Ich will eben auf keine despotische Weise andern ihre Meinungen
benehmen; aber eben daher fodere ich auch die Freyheit, die meinige behaupten zu
dürfen, so lange mich Gründe hiezu berechtigen. überhaupt liegt mir die Sache am Herzen, und daher wünschte ich so wenig wie
möglich in offener Fehde zu liegen. Hierüber scheinet auch Göthe sehr billig zu denken, sowohl aus
dem, Darin heißt es u.a.: "Die Aufsätze, welche wir
vorzulegen gedenken, werden, ob sie gleich von mehrern verfaßt sind, in
Hauptpuncten hoffentliche niemals mit einander in Widerspruch stehen,
wenn auch die Denkart der Verfasser nicht völlig die gleiche seyn
sollte. Kein Mensch betrachtet die Welt ganz wie der andere, und
verschiedene Charactere werden oft Einen Grundsatz, den sie sämmtlich
anerkennen, verschieden anwenden. Ja, der Mensch ist sich, in seinen
Anschauungen und Urtheilen, nicht immer selbst gleich, frühere
Ueberzeugungen müssen spätern weichen. Möge immerhin das Einzelne, was
man denkt und äussert, nicht alle Proben aushalten, wenn man nur auf
seinem Wege gegen sich selbst und gegen andre wahr bleibt! / So sehr nun
auch die Verfasser untereinander und mit einem großen Theil des
Publikums in Harmonie zu stehen wünschen und hoffen, so dürfen sie sich
doch nicht verbergen, daß ihnen von verschiedenen Seiten mancher Miston
entgegen klingen wird. Sie haben dies um so mehr zu erwarten, als sie
von den herrschenden Meinungen, in mehr als Einem Puncte, abweichen.
Weit entfernt, die Denkart irgend eines Dritten meistern oder verändern
zu wollen, werden sie ihre eigne Meinung fest aussprechen, und, wie es
die Umstände geben, einer Fehde ausweichen, oder sie aufnehmen; im
Ganzen aber immer auf einem Bekenntnisse halten, und besonders
diejenigen Bedingungen, die ihnen zu Bildung eines Künstlers unerläßlich
scheinen, oft genug wiederholen. Wem um die Sache zu thun ist, der muß
Parthey zu nehmen wissen, sonst verdient er nirgends zu wirken"
(Einleitung, S. IX-X).
[Schließen]was er selbst in der Einleitung sagt, und was er ein andermal selbst
| 2
Vgl. Von Goethe, 01.02.1798.
[Schließen]an mich schrieb. Vielleicht ist Ihnen die Stelle intereßant, und ich schreibe sie Ihnen
deswegen her: Der Brief ist vom 1
ten
Februar
1798. "In Ihrem zweyten Aufsaz über
Laokoon haben Sie das, was jeder in diesen Fällen thun sollte, nach
meinem Urtheil geleistet; Sie haben Ihre Gedanken und Gesinnungen über die Sache
auf das klärste in's Licht gesezt. Ich will, so bald ich Zeit gewinne, das Gleiche von meiner Seite thun, und meine
Deduktion allenfalls auch drucken laßen. Wir sind zu sehr gewohnt, daß ein paar
Vorstellungsarten mit Fug und Recht gegen einander stehen können, und jede ihre
Freunde und Anhänger finden kann, warum sollte es mit unsern meinungen nicht auch der Fall seyn können. Es kommt mir
überhaupt vor, daß es in solchen Fällen nicht sowohl zu thun sey, andern von der
Gültigkeit unserer Gedanken zu überzeugen, als vielmehr ihre eigene
Denkkraft in Thätigkeit zu
sezen."
Gestern las ich in der neuen Weltkunde den
Friedrich Schiller: Prolog zu Wallensteins Lager.
Gesprochen bei WiederEröfnung der SchauBühne in Weimar im October 1798.
In: Allgemeine Zeitung, Jg. 1798, Bd. 4, Ausgabe vom 24. Oktober. Der
Prolog endet mit den Worten: "Und wenn die Muse heut, / des Tanzes freie
Göttinn und Gesangs, / Ihr altes teutsches Recht, des Reimes Spiel, /
Bescheiden wieder fodert – tadelts nicht! / Ja danket ihr's, daß sie das
düstre Bild / Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst /
Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schaft, / Aufrichtig selbst
zerstört, und ihren Schein / Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt,
/ Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst." Gesprochen wurde der
Prolog bei der festlichen Eröffnung des neuen Theatersaales am 12.
Oktober 1798 von dem Schauspieler Heinrich Voß im Kostüm des Max
Piccolomini; veröffentlicht wurde er im "Musenalmanach auf das Jahr
1799". - Siehe auch Goethes Bericht über die "Eröffnung des weimarischen
Theaters. Aus einem Briefe" (datiert "Weimar, den 15 October 1798.") in
der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 7. November 1798.
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Prolog zu Wallenstein's Lager
. ich möchte dieß Gedicht den
Prolog aller Prologen nennen. Aber wie viel neues, und sonderbares erscheinet
darin! – Es scheint ja, als wenn man dem Theaterwesen eine ganze Revolution
vorbereiten wolle. – Will man aus der griechischen Tragödie auch das Schicksaal
auf unsere Bühnen herüberzaubern? und
anstatt
der Karakterstücken nur solche einführen, wo die Karaktere nicht
selbständig, sondern bloß wie Dratpuppen handeln, die der Dichter nach seiner
Laune hinter der Gardine bewegt? – Der Schritt ist groß, die Wallensteine uns
unter dem Bilde des heroischen Zeitalters der Griechen zu geben, und wer weiß,
wenn das Unternehmen applaudirt würde, ob die
| 3 Bühne mehr dabey
gewönne, oder verlöre. – Und in
Weimar
– warum auf's neue dieser gothische Anzug für eine neugriechische
Bühne? – ich begreiffe es nicht, eben so wenig, als die Das alte und viel zu kleine Weimarer Theater war
unter Goethes Leitung durch den Maler und Architekten Friedrich Nikolaus
Thouret umgebaut worden. Der "Weimarische neudecorirte Theatersaal"
wurde am 12. Oktober 1798 festlich eröffnet mit dem Prolog zu
Wallensteins Lager; anschließend gab man "Die Korsen" von Kotzebue und
als Höhepunkt des Abends "Wallensteins Lager" (vgl. dazu ausführlich:
Gertrud Rudloff-Hille: Schiller auf der deutschen Bühne seiner Zeit.
Berlin und Weimar 1969, hier besond. S. 107 ff.) Goethe beschreibt das
Theater als "geschmackvoll; ernsthaft, ohne schwer, prächtig, ohne
überladen zu sein. Auf elliptisch gestellten Pfeilern, die das Parterre
einschließen und wie Granit gemahlt sind, sieht man einen Säulenkreis
von dorischer Ordnung, vor und unter welchem die Sitze für die Zuschauer
hinter einer bronzirten Balustrade bestimmt sind. Die Säulen selbst
stellen einen antiken gelben Marmor vor, die Capitäle sind bronzirt, das
Gesims von einer Art graugrünlichem Cipollin, über welchem, lothrecht
auf den Säulen, verschiedne Masken aufgestellt sind, welche von der
tragischen Würde an bis zur komischen Verzerrung nach alten Mustern
mannichfaltige Charaktere zeigen. Hinter und über dem Gesims ist noch
eine Galerie angebracht. Der Vorhang ist dem Geschmacke des Übrigen
gemäß" (Goethe WA, I, Bd. 40, S. 3-4). Das "Lager" spielt "Vor der Stadt
Pilsen in Böhmen". Georg Melchior Kraus hat die Weimarer Aufführung,
Dekoration und Gruppenbild, in einem Aquarell festgehalten (ebd., Abb.
50, S. 264). Dafür wurde die neue verwandelbare Kulissenbühne zum
Einsatz gebracht. (Zu den alten Dekorationen vgl. Bruno Th.
Satori-Neumann:, Die Frühzeit des Weimarischen Hoftheaters unter Goethes
Leitung, Berlin 1922, S. 149-151.) – Im Februar und Mai 1799 bringt
Iffland die "Piccolomini" und "Wallensteins Tod" auf die Bühne des
Berliner Nationaltheaters; das "Lager" spielt er nicht.
[Schließen]neue Decoration der Bühne. – Ich wünschte daher sehr, daß Sie mir etwas aus dem Zweifel hälfen: und
mir Sache, Absicht, und Wirkung
Böttiger äußert sich in dem Beitrag "Nachrichten
von dem Weimarischen Hof-Theater" im "Journal des Luxus und der Moden,
Jg. 13, 1798, November, S. 640-651, zur Einweihung des neuen
Theatersaals und der Eröffnungsvorstellung.
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näher beschrieben
.
Ich habe meine dießjährigen Hirt las 1798/99 an der Akademie der Künste zu
Berlin "Theorie der bildenden Künste verbunden mit der Geschichte
derselben bei den alten Völkerschaften, bis auf den Verfall des
römischen Reiches" (auch u.d.T.: Kritische Geschichte der neuern Kunst
seit ihrer Wiederauflebung bis auf unsere Zeiten), Montag und Freitag
(Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 134 vom
8.11.1798).
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Vorlesungen über die neuere Kunstgeschichte
lezten Montag angefangen. – Ich war daher mehr, als jemand neugierig auf
die Geschichte der zeichnenden Künste von ihrer
Wiederauflebung bis auf die neuesten Zeiten. von J. D. Fiorillo. - 1798
war der erste Band "Geschichte der Mahlerey. Die Geschichte der
römischen und florentinischen Schule" erschienen. - In der "Vorrede"
heißt es u.a.: "An Materialien zu einer allgemeinen kritischen
Geschichte der Mahlerey und der übrigen zeichnenden Künste fehlt es also
nicht; wohl aber an ihrer Zusammenfassung und Verarbeitung: und hierin
ist bis jetzt noch weniger geschehen, als sich von unserm Zeitalter, das
in allen Zweigen der historischen und philosophischen Forschung ein
neues Licht anzzündet, erwarten ließ. […] Ich habe daher immer mein
Hauptaugenmerk darauf gerichtet, in dem Mahler nicht den Bürger, den
Liebhaber, den Gatten, den Hausvater, den Freund u.s.w., sondern den
Künstler zu zeigen; sein Talent und seinen Styl zu charakterisiren;
vorzüglich die künstlerische Geschlechtsfolge, Ableitung und Verkettung
der Manieren übersehn zu lassen, wie ein Stamm sich in verschiedene
Zweige getheilt und ausgebreitet hat, wie hinwieder aus Vermischungen
des Charakters einer Schule und eines Landes mit dem eines andern, neue
Erscheinungen hervorgegangen sind; endlich die beständige Ebbe und Flut
des herrschenden Zeitgeschmacks und der Mode zu schildern" (Vorrede, S.
VI, X-XI).
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Geschichte von Fiorillo
: mit vieler Mühe, und nachdem ich sie länger als 6. Wochen erwartet hatte,
bekam
ich dieselbe. Allein ich ward in meiner Erwartung nicht wenig
getäuscht. – Ovid, Metamorphosen 1,7 [ein rohes, unverdautes
Gemenge].
[Schließen]Rudis, indigestaque moles – ist alles was sich darüber sagen läßt. – Die Bibliothek in Göttingen kann wohl materialien geben, u.
wirklich muß man ihren Reichthum auch in diesen Fächern bewundern: aber den
Geist so etwas kritisch zu benuzen, kann sie freylich nicht geben. – Indeßen ist
dieß Zusammentragen auch nicht ohne Nuzen: aber nur ist die Geschichte das
nicht, für was der Vorredemacher sie geben wollte – eine kritische Geschichte
etc –
Die Antwort auf den Vgl. An Böttiger, 18.09.1798.
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Schlegelschen
Anfall
ist im Archiv der Zeit gedruckt.
Ich erwarte nun den Erfolg. – Sie haben doch meine Hirts Briefe an Böttiger vom 18.09.1798 und vom
20.10.1798.
[Schließen]lezten beyden erhalten? – Empfehlen Sie meinen dortigen Freunden, u: gönnern. – Prinz Augustus
Frederick kam nach seinem Italienaufenthalt Ende 1798
nach Berlin und blieb bis 1800. Auf Betreiben von Ignaz Aurelius Feßler,
den er in Berlin kennenlernte, wurde er am 20. Dezember 1798, 26-jährig,
in die Johannesloge "Zur siegenden Wahrheit", eine Tochterloge der
Großloge "Royal York de l'Amitié, affiliiert; 2. Grad 19.01.1799, 3.
Grad 04.02.1799, 4. Grad 06.03.1799 usw.; 27.8.1798 Wahl zum 1.
Vorsteher, 02.06.1799 Wahl zum 2. Aufseher. Am 05.04.1799 ernannte ihn
die Royal York zu ihrem Repräsentanten bei der Großen Loge von London;
am 24.02.1800 unterzeichnete er als interim. Großmeister Dokumente. -
1805 wurde er vorsitzender Meister der Lodge of Antiquity, 1812
Großmeister von England; 1813 vereinigte er die beiden englischen
Großlogen Ancient Masons u. Großloge von England zur Vereinigten Großen
Landesloge aller alten Freimaurer in England; 1839 wurde er
Ehrenmitglied der Großen Loge von Preußen (Karlheinz Gerlach: Die
Freimaurer im Alten Preußen 1738-1806. Die Logen in Berlin. Innsbruck,
Wien, Berlin 2014 (Quellen und Darstellungen zur europäischen
Freimaurerei, Bd. 14)). - Neben seinen freimaurerischen Aktivitäten
verkehrte der Prinz viel in gelehrt-geselligen Kreisen, so auch in der
Gesellschaft der Freunde der Humanität (u.a. am 12. Januar 1799), deren
Mitglieder Hirt und Feßler waren.
[Schließen]Ich besize iezt den Prinzen August
von England hier, mit dem ich solange in Italien zusammenlebte.