Berlin den 31ten Okt. 97.
Zuförderst dem Freunde der traute Handschlag, und mein Dank für Briefe erschlossen [Von Böttiger, vor
31.10.1797].
[Schließen]seine mir so lieben Briefe. - nun zuerst von der Das 1793 in Rom bei einer Nachgrabung am Fuße des
Esquilinischen Hügels gefundene silberne Toilettenkästchen einer Römerin wurde,
zusammen mit anderen zugleich aufgefundenen Toilettensachen, vom
Aufseher des Pio-Clementinischen Museums, Abbate Ennio Quirino Visconti,
in "Lettera sull' un antica argenterià, nuovamente scoperta in Roma"
(Rom 1793) beschrieben. Böttiger widmet sich diesem Gefäß in "Sabina,
oder Morgenscenen im Putzzimmer einer reichen Römerin, ein Beitrag zur
richtigen Beurtheilung des Privatlebens der Römer und zum bessern
Verständniß der römischen Schriftsteller" (Leipzig: Göschen, 1803, Tafel
3 und 4) und beschreibt auch die Umstände des Auffindens, die
großenteils auf Hirt zurückzugehen scheinen: "Erst ein Wort über die
Entdeckung dieser Kostbarkeiten, so weit ich selbst bis jetzt davon
unterrichtet bin. Es war im Frühjahr 1794, [!], als einige Arbeiter, die
im Klostergarten der Paulanernonnen, am Fusse des Esquilinischen Berges,
ohnweit der Suburra nach einem Brunnen gruben, 15 Fuss tief unter der
Erde, ein geräumiges, mit Schutt und Trümmern angefülltes Gemach, und in
diesem einen Kasten entdeckten, in welchem sich eine Menge alter
Römischer Geräthschaften befanden. Man hielt anfänglich diese Entdeckung
für so unbedeutend, dass die Regierung, der nach dem Reglement von allen
Ausgrabungen Rechenschaft gegeben werden muss, den ganzen Plunder, wie
man es nannte, den Klosterfrauen schenkte, auf deren Grund und Boden die
Sachen gefunden worden waren. Diese verkauften wieder den ganzen Fund an
einen kunstliebenden Deutschen, der sich damals gerade in Rom aufhielt,
und bey genauerer Untersuchung fand sich, dass diese Sachen sowohl durch
ihren innern Gehalt, als durch die Seltenheit und Zierlichkeit ihrer
äussern Form zu den merkwürdigsten Kunstschätzen gehörten, die neuerlich
in Rom ausgegraben worden sind. Der deutsche Besitzer trug Bedenken, sie
aus Rom mitzunehmen, und gab sie einem Freunde aufzubewahren. Der
gelehrte Abbate Visconti, damals Aufseher des Pio-Clementinischen
Museums, so wie jetzt des Musée Napoleon, schrieb an den Prälaten
Jomaglia einen in mehrere Journale eingerückten Brief, worin er die hier
gefundenen Stücke einzeln erläutert" (zitiert nach der 2. Auflage,
Leipzig 1806, S. 66-67). Als Erläuterung fügt Böttiger hinzu: "Der
Besitzer ist der königl. preussische geheime Rath Baron von Schellersheim, der sich gewöhnlich
in Florenz aufhält und dort die durch Metallwerth und noch mehr durch
ihre Seltenheit kostbare Medaillensammlung alter Münzen in blossem Golde
besitzt, wovon er selbst den gedruckten Catalog zu verschenken pflegt.
Herr Küttner in Leipzig ist so gütig gewesen, mir über diesen Fund
folgendes mitzutheilen: 'Ich sah es bey ihm, als ich bey meiner
Rückreise bey ihm in Florenz einsprach. Die Arbeit ist grösstentheils
schlecht und zeigt von Barbarey und Verfall der Künste. Auch bezahlte
der Baron wenig mehr dafür als den blossen Silberwerth. Erst durch
Viscontis (ziemlich trockene) Beschreibung desselben wurde in Rom einige
Aufmerksamkeit darauf geweckt. Da ich gerade zu der Zeit, wo es in Rom
ausgegraben wurde, dort war, habe ich mit mehrern Männern davon
gesprochen, die keinen grossen Werth darauf zu legen schienen. Am besten
sind die Städte gearbeitet" (ebd., S. 96).
[Schließen]
Toilette des Visconti
.
Diese war im Frühjahr 179 2 3 gefunden: und ich ward der erste, dem dieser Fund in Geheim zum sehen, und zum Verkauff angeboten ward. Die Sache gieng so her: Maurer gruben nach einem Brunnen in dem genannten Klostergarten, u. da sie auf den Fund traffen, so fanden sie es für beßer denselben in Geheim zu verkauffen, als denselben ihn den Nonnen anzuzeigen: um aber xxx es nicht off beßer zu verheelen, zeigten sie die Sache einem gemeinern Antikenhändler Antonio: dieser war nicht reich genug, um das Gewicht des Silbers baar zu bezahlen, gieng also zum Bildhauer Carlo Albaccini, der die Summe ihm gab, mit der Bedingung Mitbesitzer zu seyn. Carlo war also derjenige, welcher mir es zusammen mit Herrn v. Hanstein über der Zeilezeigte, der damals bey dem Prinzen August von England war, und daher über der ZeileCarlo glaubte, daß dieß eine Gelegenheit seyn über der Zeilekönnte, den ganzen Plunder sogleich mit einem ansehnlichen Gewinn zu verkaufen. - Die große Summe in Silber, und die überhaupt schlechte Arbeit vom 5ten, oder 6ten Jahrhundert über der Zeilewie mir schien, konnte eben nicht leicht einen Kaufflustig machen. Ich hielt damals das Ganze über der Zeilefür einen christlichen Kirchenapparat: Die getriebenen Mythologischen Vorstellungen darauf schienen mir dabey unbedeutende Verzierungen: und was meine Meinung damals mehr fixirte, waren die 4. sizenden Figuren in Silber, welche gleichsam die Füße an den vier Eken des Kästchen machten: und welche die 4. Hauptstädte des | 2 Reiches Rom, Constantinopel, Alexandria und Antiochia vorstellten. - Dieß Sehen geschah 2. Tage vor einer Reise, die ich damals mit Prinz August bis nach Como machen wollte, um dann weiter meinen Weg nach meinem Vaterlande durch die Schweiz fortzusezen: wie ich auch wirklich that, obwohl ich schon in Bologna vom Prinzen getrennt wurde, da er da einen Courier erhielt, der ihn zwang nach Livorno zurück zu gehen, um sich dort nach Xxxx Eng land einzuschiffen. Bey dem Abgange gab ich Freund Zoega Nachricht vom ganzen, und sagte auch Carlo Albaccini demselben alles zu zeigen: allein derselbe sah es fr hernach nicht. - während meiner Abwesenheit von 8. monaten ward indeßen die ganze Sache durch die Maurer selbst, welche Streit untereinander bekommen, verrathen, und Albaccini mußte die Sache an die Nonnen zurückgeben. Diese bothen es dem Pabst zum Verkauff an, nachdem Visconti die galante Beschreibung zur Sache gemacht hatte: allein seine Heiligkeit fanden das ganze zu gothisch für sein Museum. Darauf kaufte es wirklich Herr Baron v. Schellersheim, ein Preuße aus Cleve, den ich gut kenne; und seit mehrern Jahren sich in Italien, besonders in Florenz, wo er iezt dato ist, aufhält. (dieser Mann hat auch eine Sammlung von mehr als 1000. Stücken der seltensten Münzen in Golden, und der bekannte Sestini ist sein Factor) - ich sah in der Folge die Sache nicht mehr, und auch keiner meiner Freunde. man betrachtete damals die Erklärung Visconti's , als eine Galanterie, um eher Kauflustige zu finden - ich weiß, daß ich damals seiner Meinung nicht beystimmte aus Gründen, die ich iezt vergeßen, weil ich den ganzen Plunder nicht mehr hinreichend gegenwärtig habe; und auch die Noten, welche ich damals niederschrieb, nicht mehr unter meinen Papieren finde. | 3
Die Friedrich Wilhelm II. stirbt am 16. November 1797
in Potsdam.
[Schließen]Unpäßlichkeit des Königs
seit der Zeit, als ich die Die Entwürfe Hirts zu einem Denkmal für Friedrich
II.; vgl. dazu den Brief an Böttiger, 26.09.1797.
[Schließen]
Plane
vorlegte, ist schuld, daß bißher noch keine weitere Resolution ergangen:
bis iezt findet sich alles noch in der Vgl. ebd.
[Schließen]Ausstellung, und wenn dieselbe vorbey ist, werde ich mich um das weitere erkundigen,
u. dann Ihnen die Originalzeichnungen, oder Copien zuschicken.
Es wäre ja schön, wenn Mademoiselle
Jagemann
Karoline Jagemann kam 1798 zu einem Gastspiel
nach Berlin. Von Ende August bis Ende September 1798 trat sie in sechs
Vorstellungen auf und sang u.a. in den Singspielen "Oberon", "Helena und
Paris", "Lilla" und "Das Kästchen mit der Chiffer" (vgl. Klaus Gerlach:
Theater-Datenbank der Berliner Klassik). - Böttiger hatte in derselben
Angelegenheit auch Johann Daniel Sander um Vermittlung gebeten, der das
Vorhaben erfolgreich Valentin v. Massow vortrug. Als zu dem Gespräch
zufällig die Kronprinzessin Luise dazukam, unterstützte auch sie das
Engagement der Jagemann: [Massow]: "'Erinnern Sie Sich noch der Mlle.
Jagemann aus Mannheim?' O ja, sehr wohl; sie ist eine gute Sängerin. -
'Sie wünscht,' usw.. - Es wird mich freuen, sie wiederzusehen. Lassen
Sie ihr das nur schreiben" (Briefwechsel Sander-Böttiger, Bd. 1, S.
193).
[Schließen]hieher käme: was ich thun könnte, sollte meinerseits von Herzen geschehen. Da ich
aber seit einem Monate die Gräfin v.
Lichtenau
gar nicht sahe, da sie immer in Potsdam ist, so konnte ich ihr nichts hievon sagen: indeßen
wenn sonst keine Änderungen vorfallen: würde ich für ihre gute Aufnahme
repondiren.
Wahrlich ich habe bißher in den Goethe: Wilhelm
Meisters Lehrjahre (1795/96); die Prosaerzählung "Novelle"
(ab 1797; gedruckt erst 1828); Hermann
und Dorothea (Erstdruck Okt. 1797). - Schiller: Aufsätze in
den "Horen" und im "Musenalmanach". - Goethe und Schiller: Balladen
(1797); Xenien (1796).
[Schließen]neuesten Produkten von Goethe und Schiller nur geblättert, nicht gelesen, u.
habe daher schon mehrmal einen Barbaren heißen müßen
Meine Vorlesung wird im Monat December stück des hiesigen Archiv's der Zeit erscheinen: das ist der Ort, den Minister Heiniz dem Aufsaze anwies, und dann werde ich Ihnen denselben gedrukt übersenden.
Der wakere Oberthür ist vorigen
Donnerstag von hier abgegangen, u. wird vielleicht mit diesem Brief in
Weimar eintreffen. Er bringt
Ihnen erstlich Vgl. auch den Brief Böttigers an Goethe in der
Schweiz vom 2. Oktober 1797, in dem er die Sendung ankündigt (Goethe RA
2/987).
[Schließen]
das
Eine Landschaft, die man Dominichino
zuschrieb, vgl. An Böttiger, 26.09.1797.
[Schließen]
Bild
für Goethe
in einem Verschlag: es kostet mich 10. Frederic d'or in Golde: wenn es
dort für das gehalten wird, für das ich es kaufte, und für den Preis gefällt, so
steht es zu Diensten, wo nicht: so bitte ich es mir zurückzusenden. zweytens ein
Pak mit Laokoons – erstlich Hirts "Laokoon, in der Versammlung der Berliner
Akademie der Wissenschaften vorgelesen den 15ten Juny. 1797." (SLUB
Dresden, Mscr. Dresd. h 37, 4°, 88, Nr. 2; Abschrift von Schreiberhand).
Die folgenden einleitenden Passagen erschienen nicht im Druck in den
"Horen": "Unter den mancherley Uebeln, die ein fanatischer Dämon in
unsern Tagen über die Menschheit brachte ist gewiß dasjenige, welches
die Monumente des Alterthums und der Kunst betraf, nicht das geringste.
Die allgemeine Aufmerksamkeit von Europa war lange auf ihre Versetzung
von den Ufern des Tibers nach denjenigen der Seine gespannt: vergeblich
hoffte man noch immer, daß ein beßerer Geist den Sieger leiten würde.
Aber ihm - der so viele wehrlose und feindliche Völker bluten machte -
lacht der Gleim [wohl Verschreibung statt: Genius] der Musenkünste
nicht. Mit frecher Hand zerstöhrt er als ein wahrer Vandale den
schönsten Tempel, den Pius
VI. mit so viel würdiger Pracht errichtet, und darin
alles von Monumenten vereinigt hatte, was den Geschmack an den
Musenkünsten für künftige Jahrhunderte hätte erhalten und immer mehr
ausbilden können. / Auch diese Zerstörung, unglücklicher, alter Mann!
mußtest du erleben! - / Ich will mich noch auf einige Momente in jenes
Heiligthum versetzen, und einige, besonders das Vorzüglichste dieser
Monumente zu meiner heutigen Unterhaltung machen - / Laokoon / Gelesen in der Versammlung der Academie der
Wissenschaften den 15ten Juny 1797." (Bl. 14r).
-
[Schließen]
meine Schrift
, dann diejenige, welche Sie mir
brachten, u. endlich Hirts handschriftliche "Bemerkungen zu einem
Aufsatze über Laokoon" (SLUB
Dresden, Mscr. Dresd. h 37, 4°, 88, Nr. 3). Für den Druck in den "Horen"
wurde dieser Aufsatz überarbeitet und gekürzt. Nicht gedruckt wurden die
ersten Seiten von Hirts Beitrag: "So sehr auch diese neuern Ideen über
Laokoon demjenigen, was ich über das nemliche Kunstwerk niederschrieb,
entgegen zu stehen scheinen: so freue ich mich doch aufrichtig, durch
meine Schrift die Veranlaßung zu diesem Aufsaze gegeben zu haben. Die
Sache kommt auf diese Weise zur Sprache: das Wichtigste, was die Kunst
im Allgemeinen sowohl, als ihre vornehmsten Produkte betrift, erscheint
unter neuen Gesichtspunkten: man erklärt sich gegeneinander: man wiegt
Gründe und Gegengründe: - und da dem einen, wie dem andern um die Sache,
und nicht um seine Meinung zu thun ist; so dürften auch die Resultate
der Aufstellung dieser verschiedenen // Ansichten für die Kunst selbst
nicht unwichtig seyn. / Ich las den Aufsaz zu verschiedenen Malen durch,
und zwar immer nach abgesezten Ruhepunkten. Sowohl die Neuheit
verschiedener Sprachausdrücke, oder vielmehr der neue Sinn, der durch
verschiedene bekannte Sprachausdrücke hier bezeichnet wird, ebensowohl
als der neue Gesichtspunkt selbst, unter welchem das vatikanische Bild
Laokoon's hier erscheint, machten mir diese wiederholte Aufmerksamkeit
nothwendig, um den Verfaßer so viel möglich zu verstehen. / Das erste,
was der Verfaßer thut, ist, daß er Erforderniße für ein vollkommenes
Kunstwerk festsezet; das Bild Laokoon's dann darnach prüfet, und endlich
allen Erfordernißen im höchsten Grade in demselben genug gethan findet.
/ Die Subtilität des Ganges in der Aufstellung, und der ganzen Sprache
durfte man nur von einem Manne // wie der Verfaßer ist, erwarten. Man
muß so viel, mit so voller Überlegung, und so vielseitig angeschaut, und
die Sprache so in seiner Gewalt haben, um mit solchem Scharfsinn zu
entwickeln, zu ordnen, und darzustellen. / In meinem Aufsaze erscheint
zuerst das Bild: ich stelle meine Anschauung dar, und die Grundsäze,
welche abstrahirt sind, sind Folgerungen dieser Anschauung. / Der
Verfaßer sezet sechs Punkte als Erforderniße zu einem hohen Kunstwerke
fest. Diese sind: 1. Organisation u. Leben. 2. Karakter. 3. Ruhe
oder Bewegung. 4. Ideal. 5. Anmuth. 6. Schönheit. / Ich werde
seine nähern Erklärungen hierüber mit meinen Anmerkungen, Zweifeln, und
Fragen - so wie es mein Bedürfniß fodert - begleiten. / 1. Organisation u. Leben. Autor scheinet hiemit
nichts anders ausdrucken zu wollen, // als daß zu einem hohen Kunstwerke
weder das Leblose, noch die bloße Thierheit, sondern einzig die
menschliche Natur sich qualifizire. Folglich kann der Sinn des Autors
keinesweges seyn, weder todte, noch Schlafende, noch in Ruhe
dargestellten Menschennaturen vom Range des hohen Kunstwerkes
auszuschließen. / Übrigens erkenne ich auch in dem ersten Erforderniß
die Grundbasis aller wahren Kunst - Conditio, sine qua non - Kenntniß
des Allgemeinen in der Menschennatur ist erstes Erfoderniß. / 2. Karakter. Auf die Kenntniß des Allgemeinen
muß die Kenntniß des Besondern der menschlichen Natur folgen: diese
Kenntniß des Einzeln, und der verschiedenen Wirkung desselben giebt den
Karakter, oder das Eigenthümliche, Individuelle - ohne welches sonst ein
Kunstwerk bedeutungslos bliebe. / 3. Ein Gegenstand
ist in Ruhe oder Bewegung. Hiedurch erklärt sich die geistige
Intention // der Menschennatur: folglich ist hier wieder die allgemeine
und besondere Kenntniß nöthig, wie sich die Ruhe nach der
Verschiedenheit der Karaktere bezeichnet, und wie sich Gefühle, und
Leidenschaften überhaupt äußern, und im besondern sich nüanciren. / 4. Ideal. - Also erfodert jede[s] hohe Kunstwerk
das Ideal? soll also das Porträt vom hohen Kunstwerk ausgeschloßen seyn?
oder wird vielleicht schon zum Ideal gerechnet, wenn der Künstler den
glücklichen Momente zu ergreiffen weiß, die Ähnlichkeit des Vorbildes am
Individuellsten darzustellen? Für mich würde ich hier noch kein Ideal
finden: denn Ideal kann nur das seyn, wo der Künstler dem Objekt
zugiebt, was er nicht in der Anschauung des Vorbildes vor sich hat. Oder
soll hier die Meinung derjenigen gelten, welche jedes Porträt idealisirt
haben wollen? - Unter gewißen Bedingungen, oder genauerer Bestimmung des
Wie? bin ich dieser Meinung nicht entgegen. Bey den Alten finden wir
idealisirte Porträte häufig: aber wie? - Entweder fand der Künstler, daß
// es der Person, die er bildete, schmeicheln würde, wenn er das
Fehlerhafte - doch unbeschadet der Ähnlichkeit des Hauptkarakters -
sinnreich verstecken, oder durch eine accidentelle Zugabe das Porträt in
einer vortheilhaftern Ansicht zeigen könnte: Dieß Sinnreiche erhob dann
selbst das Intereße am Kunstwerke. Oder aber der Künstler wollte
geradezu - beflißentlich - eine Nebenidee in dem Porträte ausdrücken:
die Frau nemlich als Heroin, den Mann als Halbgott darstellen. Die
bezeichnenden Attitüden und Attributen eines solchen Porträt-Heros
foderten von dem Künstler auch jene heroische Nachbildung in der Form,
und den Lineamenten, so viel nemlich es, unbeschadet der
Hauptähnlichkeit der Person, geschehen konnte. Die beflißentliche
Absicht des Künstlers dabey war, nicht bloß ein Porträt, sondern ein
heroisches Porträt zu machen. - Indeßen machten diese Porträtideale nur
Ausnahmen, // und im Ganzen gieng die alte Kunst immer nach der höchsten
Strenge treuer Nachbildung. / In jedem andern Werke, was nicht Porträt
ist, muß der Künstler nach seiner Idee arbeiten: er muß das Objekt
seiner Phantasie in eine sichtbare Form kleiden, und dieser Stellung u.
Bewegung geben. Da der Künstler nun ein solches Bild aus dem Vorrath
seiner von der allgemeinen Natur aufgefaßten Ideen formet, so kann ein
jedes Werk dieser Art ein Ideal heißen - zum Gegensaz mit dem Porträte.
Hiemit versteht sich aber, daß es wenigstens eben soviele
objektivisch-häßliche, und gemeine, als schöne, und erhabene geben müße:
kurz in der Hinsicht ist ein Sylen ebensowohl ein Kunstideal als
Bacchus; die alte Amme der Phædra eben so, wie diese Heroin selbst; ein
Thersites eben so, wie Achilles; die Giganten eben so wie Jupiter. / Hat
man Lust, das Objektivhäßliche // als einen Sylen, einen bäuerischen
Faun, einen Triton, einen Polyphem von dem Range des hohen Kunstwerkes
auszuschließen: - meinetwegen! Der Streit ist um das Wort. Nur erlaube
man mir, daß ich den richtigen, tiefen, hohen Genius eines Künstlers
bewundern darf, wenn ich das Objektivhäßliche, oder Gemeine vollkommen
vorgestellt sehe: und daß ich behaupten darf, daß die Grundsäze für den
Künstler die nemlichen sind, sowohl das objektivisch-schöne, als
häßliche richtig zu bilden. Doch auch ich bin mehr für das
objektivisch-schöne, als für das objektivisch-gemeine, oder häßliche,
wenn sie in gleich vollkommenen Kunstwerken vor meinen Augen erscheinen:
Auch ich würde, wie Praxiteles, und seine Schöne, den Amor dieses
Meisters, dem Satyr desselben vorziehen. / Aber am Ende sehe ich, daß
gar nicht von dieser Art Ideal, worüber // ich hier so weit aushohlte,
die Rede ist. Der Verfaßer will hier einzig von der Umfaßung eines
Kunstgegenstandes nach allen seinen möglichen Momenten sprechen: Unter
diesen den höchsten darzustellenden Moment aufzufinden heißt hier Ideal.
/ Dieß Erfoderniß ist allerdings für die Kunst sehr wichtig: Der
Künstler muß nicht bloß sein Objekt nach allen Momenten übersehen,
sondern auch dabey die Grenzen der Kunst genau kennen. Dieß kann ihn
allein führen, daß er unter der Menge der vor seiner Phantasie
schwebenden Momente nicht falsch wähle, und auszuführen versuche, was
die Grenzen der bildenden Künste überhaupt, oder eines Faches derselben
insbesondere überschreitet. - Hat nun der Künstler auf diesem Wege das
Ideal des Momentes für sein zu bildendes Objekt gefunden; folget das
weitere Erforderniß: / 5. Anmuth - diese scheint
aut[or] hauptsächlich in die Anordnung der körperlichen Theile seines
Kunstobjekts // zu sezen: theils um durch Symetrie das Mannigfältige
faßlich zu machen, theils durch Kontraste, und leise Abweichungen das zu
Einfache zu Vermannigfältigen - so daß ein Kunstwerk,
wenn man auch von dem Inhalte abstrahirt, wenn man in der Entfernung
auch nur die allgemeinsten Umriße sieht, noch immer dem Auge, als
eine Zierart erscheine. / Dieses Requisitum der Anmuth mag bey
der Anordnung bestehen: Der Künstler verliere sie nie aus den Augen.
Aber wird sich wohl eine Grundregel festsezen laßen, vermöge welcher man
bestimmen könnte, was mit Anmuth angeordnet, oder componirt hieße? und
wird dieses Streben nach Anmuth, wenn sie nicht natürlich aus dem
Bedeutenden der ganzen Anordnung entspringt, nicht eher auf Abwege
verleiten? / Es scheint aus dem, was der Verf[asser] weiterhin über
Anmuth sagt, alswenn etwas Conventionelles bey den Kunstcompositionen
der Alten statt gehabt hätte. Ich begreiffe auch, wie man durch den
Überblick auf die uns hinterlaßenen Monumente zu // dieser Vermuthung
kommen kann. Nichts ist vielleicht auffallender, als der Kontrast der
alten und neuern Kunst in Rücksicht der Anordnung. Aber nebst andern
Ursachen dieser Verschiedenheit - deren Angabe hier zu lang seyn würde -
bemerke man, daß wir von den Alten fast nichts als Kompositionen in
Skulptur, und in Zeichnungen auf Vasen haben. Beyde Arten sind ohne Feld
- Campo - ohne Tiefe, ohne Verschiedenheit der Gründe, ohne Perspektiv:
keine Art von Abweichung findet dabey statt. Dadurch entstehet
nothwendig eine gleichförmige Weise der Anordnung, nemlich die
Nebeneinanderstellung. Ist aber dieß nicht eher Beschränkung, als
Vortheil der Skulptur? - Die Alten haben diese Grenzen gefühlt; und sie
versuchten nicht leicht, was ihnen hervorzubringen nicht möglich war.
Daher sehen wir auch alle Nebensachen in der Bildhauerey der Alten, als
Thiere, Gebäude, Waßer, Schiffe, Berge, Bäume u.s.w. - gröstentheils -
nicht im Verhältniß der handelnden Personen, sondern bloß als Zeichen
gebildet, und nicht selten auch personifizirt. Die Composition des Toro
Farnese ist eine einzige Erscheinung in // seiner Art, obwohl die
Künstler auch hier das Lokale der Szene durch Zeichen bloß andeuteten.
Je beschränkter die Kunst ist, sich in ihren Darstellungen zu
versinnlichen, desto behutsamer muß sie seyn, durch Symetrie
Faßlichkeit, und durch bedeutende Konstraste Mannigfaltigkeit, und
Handlung zu bewirken. Solche Art von Anordnung ist nicht Convention,
sondern sie rühret von der Beschränkung der Bildnerey her. Die Regel der
Kunst erfodert Faßlichkeit, und Bedeutung: ist die Anmuth die natürliche
Folge davon - so wie sie es meistens bey den Werken der Alten ist -
desto mehr Erhöhung für das Kunstwerk. / 6.
Schönheit - so wie die Kunst die körperlichen Formen zu einem -
für's Auge; auch abstrakt von der Bedeutung - anmuthigen Ganzen ordnen
soll - eben so soll das geistige Schöne Das Kunstwerk beseelen. Unter
dieses Gesez rangirt der Verf[asser] den Ausdruck: und es scheinet von
der Meinung derjenigen zu seyn, welche glauben, daß // Die Bildenden
Künste auch einer Begränzung in Rücksicht des Ausdruckes unterworfen
seyn. Der Ausdruck in Bewegungen und Mienen soll gemildert werden: Das
Schönheitsgefühl soll den Genius des Künstlers gleichsam bändigen, und
ihm nicht erlauben, die Grenzen eines gemäßigten Ausdruckes zu
übersteigen: er soll das Extrem im Ausdrucke nicht darstellen, sondern
vielmehr nur ahnden laßen. - Ich bescheide mich übrigens, wenn ich
unrichtig commentirt hätte. / Dieß Schönheitsgefühl ist ohne Zweifel das
vorzüglichste und höchste vielleicht nicht nur für die Bildenden,
sondern auch die schreibenden Künste. Es ist vielleicht das vornehmste
Distinctiv der griechischen Kunst überhaupt. Nur zu selten tragen neuere
Werke den Stempel dieses sinnlischen Geschenkes: unter den bildenden
Künstlern kann man nur vorzugsweise den Raphael nennen. / Aber läßt sich
dieses Gefühl lehren? Antwort: Nein! - Der himmlische Funke kann nicht
herausgeschlagen werden, wo er nicht liegt. Kann man seiner Entwicklung
zu Hülfe kommen? ich // glaube, ja! - man kann dem von der Natur so hoch
Begünstigten, und mit höhern Kräften versehenen Menschen die Wege
erleichtern; indem man vor seinem Blick die Geheimniße der physischen,
und geistigen Natur frühzeitig aufschließt, und ihn mit den Gränzen, und
mechanischen Gesezen derjenigen Kunst bekannt machet, in welcher er sich
versuchen will. Jedes auch größte Genie trägt immer das Gepräge seines
Zeitalters: in rohen und ungebildeten Zeiten bleibt es roh, und seine
Größe kann nur im Verhältniß seiner Zeit erscheinen: Eben so geht es im
umgekehrten Falle - ist der Geschmack über seine Grenzen weggeschritten,
ist er im Fallen; so wird es verbildet, und daher schwülstig, und
abentheuerlich. Die ganze Kulturgeschichte giebt uns Beweise von dieser
Wahrheit. Daher ist es gut, wenn der zur Darstellung und Hervorbringung
des Schönen (von Natur) gebildete Mensch - um das Maas zu halten -
frühzeitig eine feste Richtung erhält - die Richtung nach einem
Standpunkt, welcher solange man ihn nicht aus den Augen verliert, sicher
leitet. - Und was gäbe diese feste, ewige, unabänderliche Richtung? - //
Antwort: Karakteristik: in dem Sinne nemlich, in dem ich dieses Wort zu
nehmen pflege. - Aber käme die geistige Schönheit eines Kunstwerkes auch
unter dieses Grundgesez? - Nach meiner Meinung ist sie nicht nur in
diesem Geseze mitbegriffen, sondern sie würde in einem Kunstprodukte gar
nicht vorhanden seyn, das gegen Karakteristik verstieße, oder vielmehr
wozu Karakteristik nicht hingeleitet hätte. Aber ist jedes Kunstwerk für
unsern Verstand nicht unendlich? es kann angeschaut, es kann empfunden
werden: aber kann es eigentlich erkannt, und sein Verdienst mit Worten
ausgesprochen werden? Ich gebe gerne zu, nein! Doch scheint mir schon
viel gewonnen zu seyn, wenn dem Verstand ein Maaßstab des Negativen
eingeräumt wird: wenn zum Beyspiel da, wo die Karakteristik fehlet, auch
die geistige Schönheit nicht vorhanden seyn kann, und wenn wir dieselbe
da, wo wir sie finden oder empfinden, immer als das Resultat der
Karakteristik wahrnehmen. Sey es auch, daß die beste Geschmakslehre
ihren Stoff nie erschöpfe: sey es auch, daß die voll-//ständigsten
Angeln die Tiefen der Empfindungen, und das bunte Spiel der menschlichen
Phantasie nie ermeßen; so haben wir durch Annäherungsprincipien sowohl
für Herbeyführung, als für Aufrechthaltung des Geschmackes schon viel
gewonnen. Ich werde in der Folge Gelegenheit haben, mich noch näher zu
erklären. / Iezt sey mir erlaubt, ehe ich weiter gehe, die Erforderniße,
welche der Verfaßer für ein hohes Kunstwerk festgesezet, hier zu
resumiren. Diese sind: / Kenntniß der physischen und geistigen
Menschennatur: Kenntniß der Abweichungen, und besondern Eigenheiten
derselben: Ergreiffung des richtigsten Momentes, sey die Darstellung in
Ruhe, oder Bewegung: verbunden mit körperlicher Anmuth: und geistiger
Schönheit. / Auch ich erkenne diese Erfoderniße an: Doch nicht, ohne
folgende Anmerkung. / Ein jedes Kunstobjekt drehet sich um einen festen
Punkt, der im Werke // anschaulich gemacht werden muß. Die
Deutlichmachung, oder Karakterisirung dieses Punktes giebt dann die
Regel an, den richtigsten Moment der Darstellung auszuheben: Die
Stellung der körperlichen Formen, und der Ausdruck müßen diesen Moment
karakteristisch begleiten. Körperliche Anmuth, und geistige Schönheit
können Resultate davon seyn. Aber diese können niemal auf Unkosten der
Karakteristik der Bewegung, und des Ausdruckes herbeygebracht, und ich
kann beysezen, nie anders, außer wenn sie wirklich karakteristisch sind,
als solche empfunden und beurtheilt werden. - / Über
Laokoon. / Der Verfaßer findet, daß in dieser Gruppe allen
obgesezten Erfodernißen im höchsten Grade genug gethan sey. Auch ich
sehe in diesem Werke gleichsam das - non plus ultra - der Kunst. Aber
unsere Anschauung geht selbst in wesentlichen Theilen voneinander ab. -
Ich kann die sinnreiche, ja subtile Entwicklung des Verf[assers] nicht
Schritt vor Schritt verfolgen. Ich muß meine Anmerkungen mehr summarisch
darlegen. // Was über Geschloßenheit gesagt
wird, bin ich ganz einverstanden: Auch über die Entkleidung von allem Fremden - und es ist schön vom
Verf[asser] bemerkt, daß der Bildnerey selbst ein Vortheil zuwächst aus
dem, daß ihre Grenzen so enge gestellt sind. [...]" (Bl. 30r-38v).
[Schließen]die Antwort
. Da ich die Disposition über den ersten Aufsaz erhalten habe, Es war Schiller, der Hirts Laokoon-Aufsatz "recht
gern in den Horen" haben wollte, um "Hirt gegen Schlegel ins Feld zu
führen", da Friedrich Schlegel 1797 in seiner Abhandlung "Über das
Studium der Griechischen Poesie" "den Begriff des 'Charakteristischen'
[...] zur Unterscheidung der modernen von der griechischen Poesie"
gebraucht hatte (Martin Dönike: Pathos, Ausdruck und Bewegung: zur
Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796-1806, S. 27 und 26). An Goethe
schreibt Schiller am 7. Juli 1797: "Es wäre, deucht mir, jetzt gerade
der rechte Moment, daß die griechischen Kunstwerke von Seiten des
Charakteristischen beleuchtet und durchgegangen würden, denn allgemein
herrscht noch immer der Winckelmannische und Leßingische Begriff, und
unsre allerneuesten Ästhetiker, sowohl über Poesie als Plastik, lassen
sichs recht sauer werden, daß Schöne der Griechen von allem
Charakteristischen zu befreien und dieses zum Merkzeichen der Modernen
zu machen." Schiller selbst hoffte, aus der "Materie über das
Characteristische und Leidenschaftliche" für seine "Untersuchungen über
das Griechische Trauerspiel" Nutzen zu ziehen (Schiller NA, Bd. 29, Nr.
104).
[Schließen]so bitte ich denselben an Schiller zu geben, um denselben in Horen einzurücken
- aber Hirts Aufsätze "Laokoon" und "Nachtrag über
Laokoon" erschienen nicht nacheinander, sondern in Stück 10 und
12.
[Schließen]auf einmal, nicht abgesezt in zwey Stücken - das übrige überlaße ich Ihnen, Sie
mögen es verfechten, und mit dem Autor nach Belieben arrangiren. Ich wünschte
nicht, daß ich zu starke Ausdrücke gebraucht hätte: man müßte Ihre, oder
Goethe's Feder haben, um alles
zierlich umzustalten: übrigens steht mein
| 4 Gemüth jeder nähern
Aufklärung sehr offen. Wenn Sie mir darüber schreiben, so bitte ich keine
Beschönungen, sondern gerade von der Brust, und bestimmt auf dem Fleck: auch
eben so bitte ich mir die Urtheile anderer zu sagen.
Haben Sie etwa meinen Aufsaz in den Horen über das Kunstschöne gelesen? - Es war
dieser Aufsaz, den ich von Ihnen zurückgebracht gewünscht hätte: denn er ist vor
6. Jahren geschrieben, und nicht vollendet, wie Sie selbst sehen, mehr Skizze.
Ich hatte ihn freylich dem
Herausgeber der Horen
zugesagt, aber nachdem ich ihn von neuem würde durchgearbeitet haben. - Indeßen
ist es geschehen, und da im Grunde die Hauptidee, aus welcher ich das
Kunstschöne ansehe, darin angegeben ist; so liegt mir weiter, da die Herausgeber
es verantworten, auch nichts dran: nur bin ich hiedurch gezwungen, durch andere
Aufsäze diesem erstern Halt zugeben, und in dasselbe Journal sie
einrücken zu laßen. In den "Horen" erschienen keine weiteren Beiträge
von Hirt; die Zeitschrift endet 1797 mit dem 2. Stück. Vermutlich ist
hier Hirts Aufsatz "Ueber die
Charakteristik, als Hauptgrundsatz der bildenden Künste bei den
Alten" gemeint, der erst später ausgearbeitet im
"Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmacks", Jg. 1798, Bd. 2,
November, S. 437-451, gedruckt wurde. Gleich zu Beginn bezieht sich Hirt
hier auf seine drei in den "Horen" erschienenen Aufsätze. Veranlasst
wurde er jedoch durch eine Kritik der Brüder Schlegel im "Athenäum",
gegen die er sich im Folgenden durch eine detaillierte Darstellung
seiner Kunstprinzipien zu verteidigen sucht.
[Schließen]Der erste Aufsaz, den ich nachschicken werde, wird die Geseze, und Begrenzungen der Skulptur enthalten. Vielleicht
wird dieser auch dazu dienen, manches über die
Aufsäze Laokoon
näher zu erörtern.
Sander hatte in einem auf den 3. und 5. Oktober
1797 datierten Brief an Böttiger geschrieben: "Von Hirt bekommen Sie
etwas über die Ausstellung der Kunst-Akademie" (Briefwechsel
Sander-Böttiger, Bd. 1, S. 187).
[Schließen]
Sanders schreibt Ihnen, In der SLUB Dresden ist allerdings ein
26-seitiger handschriftlicher Text von Hirt verwahrt, der eine
ausführliche Beschreibung der 1797er Kunstausstellung enthält (Mscr.
Dresd. h 37, 4°, 88, Nr. 1). Zum Wortlaut siehe unten die
Beilage.
[Schließen]daß ich Ihnen etwas über die Ausstellung der hiesigen Academie zusenden wolle: er trügt
sich: nicht ich, sondern Er. Wie kann mir ein Urtheil über meine Collegen
zustehen? ja! ich müßte ja mich selbst recensiren.
In Böttigers "Vasengemälde" ist nichts von Hirt
enthalten.
[Schließen]Den Aufsaz für das vasenwerk habe ich bereits
zu schreiben angefangen, und ich werde Ihnen denselben gewiß zur Zeit
einliefern.
Vorgestern hatte ich Briefe erschlossen: [Von Angelika Kauffmann, vor
29.10.1797].
[Schließen]Briefe von der lieben Angelica
aus Rom. Die Arme trauret
sehr über den iezigen Zustand dieser Stadt: sie sagt: sie hätte aus Liebe zur
Kunst diesen Aufenthalt gewählt: was aber künftig geschehen werde, wiße sie noch
nicht. Sie hat für den Weih bischof von Münster
Herrn v. Trost eben zwey große Bilder
fertig gemacht: das eine wo christus
die Kinder segnet, das zweyte eine Verkündigung Mariæ: lezteres soll besonders wegen
der Neuheit der Composition viel Beyfall erhalten haben. iezt arbeitet sie an
einem Eine
allegorische Darstellung der Religion (mit dem Kreuz) auf dem
Thron, umringt von ihren Dienerinnen Glaube, Hoffnung, Ergebenheit,
Geduld, Freude, Reue, Friede und christlicher Liebe; ehemals London,
Tate Gallery, im II. Weltkrieg zerstört. - Vgl. Handbook to the public
galleries of art in and near London […] by Mrs. Jameson. London 1845, S.
142: National Gallery: "Nr. 139. Religion attended by the Virtues.
Composition of 11 Figures, life-size. / Faith is her distinguished by
her cross, Hohe by her anchor; Chasity has her dove, and Charity her
bantlings: all of which is de rigueur. The picture is intolerably tame
both in composition and colour; it required the fertile fancy and
glowing pencil of Rubens to deal with pictorial allegories, whether
religious or profane. This picture was painted at Rome for James Forbes,
Esq., the author of the 'Oriental Memoirs', who bequeathed it to the
nation".
[Schließen]
Gemälde mit vielen Figuren
. -
[Der folgende handschriftliche Text enthält Hirts fragmentarische Beschreibung der Berliner Kunstausstellung von 1797. Er lag wohl nicht dem vorliegenden Brief bei, sondern gelangte erst später an Böttiger; vgl. auch: An Böttiger, 15.08.1799.]
Sie beneiden mich also im Ernst, eben zurzeit in Berlin zu seyn, wo die Akademie der schönen Künste den Geburtstag des Königes durch die öffentliche Ausstellung ihrer Arbeiten feiert. Ich muß gestehen, daß dieses Ereigniß, an welches ich bey meiner Herkunft nicht dachte, und meinen Kopf bloß mit der Herbstrevue der Berlinischen Garnison angefüllt hatt, mich selbst nicht wenig freuet. Freylich müßte ein Laye, wie ich, einen Kenner wie Sie, an der Seite haben, um alles das mit einem mehr kritischen Blick ansehen zu können: aber so habe ich bloß den empirischen Genuß davon, wie hundert andere, welche in bunter Mischung mit mir die Säle durchwandeln.
Indeßen wollen Sie doch, daß ich schreibe, und Ihnen einen detaillirten Bericht gebe. Dieß heißt einiger Weise meiner Gefälligkeit Gewalt anthun, und bey mir // auf die Befriedigung eines Wechsels dringen, den ich Ihnen nur in schlechter Münze bezahlen kann.
Sie würden lachen, wenn Sie mich sehen sollten, wie ich mich herumtreibe, um stante pede ein Kunstkritiker vis-a-vis de vous zu werden: wie ich fast täglich, in den Kunstsälen auf- und abgehe, wie bedächtig ich mich iezt hier vor eine Statue, oder Büste, jezt vor eine Landschaft, ein Porträt, oder gar ein Historiengemälde hinpostire - ja selbst mit der Miene des Archicritikers vor einen architektonischen Plan dastehe. Diese Bedächtigkeit, womit ich eigentlich mit meinen eigenen Augen wenig, oder nichts sehe, zieht indeßen die andern Mitspazierenden herbey - man spricht, man pronirt seine Empfindung, und nicht selten höre ich so die sonderbarsten Einfälle von kritischen Urtheilen. Ein Spaßvogel könnte sich bey solcher Gelegenheit die schönsten anektoden für die petits Soupers sammeln - und ich - sammle für Sie - mein Freund! Kunsturtheile; denn ich hätte Lust, mich gerne etwas Breit vor Ihnen zu machen. Auch habe ich schon // mein Portefeueille bereichert. Ich überschicke Ihnen also die Waare, wie ich sie haschen konnte: Sie werden wohl sehen, daß es meistens Contrebande ist - und als solche verkauffe ich sie Ihnen wieder - von meiner eigenen Fabrik werden Sie weniges darunter finden.
Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß ich bey der öffentlichen Sitzung, welche die Akademie selbst den 25 ten , als dem Geburtstage des Königes, hielt zugegen war. Ich schreibe Ihnen - um sich eine Idee von den Verhandlungen zu machen den Artikel aus der Berlinerzeitung ab. "________"
Mich machte die Lobrede auf Rode sehr begierig, die Werke dieses Mannes kennen zu lernen - aber leider! weiterhin werden Sie sehen, wie tief ich von meinem Himmel herabfiel. Die Rede von Hr. Langhans schien mir sehr tief und gelehrt - aber auch da mußte ich von einem neben mir stehenden vernehmen, daß mehr als ein historischer, // und wenigstens ebensoviel architektonische Schnizer untergelaufen sind, und das Richtige davon bloß Loci communeae wären. Transeat! - ich konnte meinen Mann erst begreiffen, nachdem ich einige Tage nachher mit einem Sachkundigen alle Projektirte Monumente für Fried. II. durchgieng. Die Rede von Hofr. Hirt [Anmerkung auf dem rechten Blattrand: da die Schrift anonym seyn sollte, so glaubte der autor sich mehr decken zu können, wenn er auf die Weise von seiner Arbeit spräche, wie sie das Publikum beurtheilt hatte.] fand ich so wahr, und brillant, daß ich iezt erst auf's neue den Königl. Kunstschaz an seinen vielen Orten aufsuchen werde, da ich mir wirklich bey dem ersten Besehen - aus Ursachen die sehr deutlich entwickelt wurden - einen sehr mittelmäßigen Begriff sowohl von den Antiken, als den Gemälden des Königl. Hauses gemacht hatte. - Die Rede von Rambach schien mit einem philosophischen Blick geschrieben zu seyn.
Den 26 ten wurden alle Säle der förmlichen Ausstellung aller eingeschickten Arbeiten sowohl von einheimischen, als fremden Künstlern für das Publikum eröffnet. Die Person zahlt für jedesmal 4. Groschen, und ein gedruktes Verzeichniß kostet eben so viel. Diese // kleine Depense mache ich öfters im Tage zweymal - denn für meine Augen ist diese Ausstellung nicht bloß eine Kunstgallerie, sondern auch ein Schauspielhaus von der bunten Menge der Berliner schönen welt.
Die im Catalog verzeichneten Stücke gehen bis auf N o 409. Darunter ist aber begriffen Mahlerey, Sculptur, u. Baukunst - Zeichnungen - Kupfer, Stickereyen - Verzierungen - Miniaturen, Porträtxxx(?) in Wachs - Verzierungen in Holz geschnitten etc - Unter der nemlichen Nummer kommen aber zuweilen mehrere Stücke vor. - Auch für die mechanischen Künste ist ein besonderer Saal bestimmt: die Werke sind aber nicht im Catalog angegeben. Sie sehen Claviere - ausgestopfte Vögel - Teppiche, Uhren, Blumentöpfe. Tische. u. anderes Hausgeräthe.
Ihnen über jedes etwas zu sagen würde wohl die Kräfte meiner Feder überschreiten. Ich gebe es Ihnen also nach Classen - und von diesen werde ich nur das berühren, worüber das Publikum seine Aufmerksamkeit äußerte.
Also erstlich von der Sculptur: //
Das erste, was sich mir hier den Augen darstellt, ist die Gruppe der Kronprinzeßin, u. der Prinzeßin Ludewig in Lebensgröße u. in Marmor. Schwesterliche Liebe sollte der Gegenstand dieser Gruppe seyn - aber Freund Schadow! wie konntest du dieß so wenig fühlen? Die Gesichter der Schwestern sind voneinander abgewendet - in gebieterischer Attitude steht die ältere den linken Fuß über den rechten geschlagen, den linken Arm auf den naken der kleinern Schwestern lehnend, indem sie mit ein paar preziösen Fingern einen Theil des herabfallenden Übermantels anhält - Die jüngere Schwester beugt sich unter der drückenden Last vorwärts, und suchet, mit der Rechten den Leib der Schwester umfaßend, ihre Gebieterin zu stüzen. - wie ist es möglich den Sinn der Composition, - diese Seele der Kunst - so zu verfehlen? hast du denn nie einen Freund umarmt? hast du denn nie die seelige Wonne gefühlt, // in der annähernden Umarmung des liebenden Weibes mit Deinem Auge den milden Blick der einzigen zu begegnen? und da anzuhalten - weist Du nicht, daß sich in diesem Wechselblick die Seelen berühren - und mehr das innige Gefühl des höchsten Wohlwollens ausdrücken, als es je die feurigste Umarmung thun kann? -
Ich hörte von einem, der mit einem andern vor dieser Gruppe stand, hätte doch der Künstler sich - an Orestes u. seine Schwester Elektra erinnert - welche - ich weiß nicht, in welchem Museum in Rom stehen sollen -
Aber marmor meiseln, und richtig Empfinden sind zwey Dinge: Das erstere sollte zwar lezteres immer darstellen: aber hiezu gehört mehr, als eine gemeine Künstlerseele.
Man findet die Gesichter sehr ähnlich, besonders das der ältern Schwester: beydes sind herrliche Köpfe für die Sculptur: Anmuth spricht aus jedem // ihrer Züge - ich weiß nicht, ob ein Künstler zwey schicklichere Modelle finden könnte, um die hohe Gestalt der Melpomene in der ältern, und den naiven Liebreiz der Thalia in der jüngern Schwester zu bilden, und sie beyde in einer schwesterlichen Gruppe zu vereinigen.
Über das gewählte Costum, und andere Theile, als Arme, Hände, Füße u.s.w. laße ich mich nicht ein. Man findet daß der Künstler hierin auch viel mehr hätte thun können: und daß die drey Parzen an dem Grabmale des jungen Grafen von der Mark - vom nemlichen Künstler - in dieser Hinsicht viel beßer gerathen sind.
Die Büsten vom Kronprinzen, und seinem seel. Bruder Ludewig stehen in Gips da - ersterer ist frappant ähnlich, und ungeachtet seines militärischen Costums machet er eine sehr schöne Büste, weil der Prinz ungemein reguläre und bestimmte Züge hat. Die zweyte scheint nach der Maske des Verstorbenen gemacht zu seyn: die Gesichtsmuskeln sind alle externirt, erschlafft. Der Hauch des Lebens webt nur schwach über dem Gesichte. - //
Eine Venus in marmor - Lebensgröße - auf einem Ruhebette liegend: - ohne diese Bezeichnung im Catalog würde man sie eher für eine aus einem Liebestraum erwachende Bacchantin halten. Weder Kopf, noch Form, nach attitude kommen einer Göttin zu, die den Sterblichen nie als unter dem höchsten Liebreiz - der Schamhaftigkeit - nie als in der unverwelkbaren Gestalt ewiger Jugend erschien. - Ich kann das Detail der Formen nicht nach Schärfe beurtheilen - doch habe ich einen Gips der mediceischen Venus in Florenz gesehen - und da nehme ich freulich gewahr, daß um die Länden, und Schenkel - in dem modelle von Schadow - nicht mehr die unverlezte Jugend wehte - und da und dort Dickungen, und magerheiten sich zeigen: die leider! nur zu bald das Loos unserer hinwelkenden Schönen sind.
Indeßen machet dies Werk dem Künstler die meiste Ehre: und in dem Boudoir eines Kenners könnte es immer ein vorzügliches Möbel seyn. //
Prof. Bettkober.
Sonderbar
contrastirt mit der gruppe der Prinzeßinen, und der Venus die darneben stehende
Statue von Fried. Wilh. I. sie ist in
Gips, u. Lebensgröße und dem Costum seiner zeit; nemlich in der Tracht, wie sich
auf den Theatern die alten Pedanten kleiden, welche nur die Schauspieler preis
geben, um das Zwerchfell ihrer Zuschauer zu erschüttern. Der lange steife,
eingewickelte Haarzopf, die fünf Löckchen um jedes Ohr, der dreyekige kleine -
eher Deckel - als Hut auf dem Kopfe, die langen Schöße der Weste, welche bis
über den halben Bauch aufgeknöpft ist: der desto kürzere Rock - die langen
Manschetten, die bey den kurzen Rockärmeln, bis auf die Hälfte der Finger
vorreichen, die ledern Camaschen, und die abgestüzten Schuhe zwingen jedem
Anblick ein Lächeln, wonicht ein Lachen ab. man möchte gerne rufen: otez - moi
ce magot - là - wenn man nicht das Band vom schwarzen Adler über die Weste
hängen sähe, und man nicht wüste, daß der Mann den kurzen Stock, auf den die
rechte Hand sich stüzt, ehemals nicht selten zu gebrauchen verstand. - Indeßen
ist die ganze attitude äußerst wahr, einfach und simpel: man könnte es ein
Meisterstück // der Kunst nennen - wenn die Bildnerey sich mit dem Anblick des
Lächerlichen vertrüge.
Bildhauer! Freunde der Kunst! wie lange wird man Euch noch zu zurufen müßen: daß Ihr den Mann, und nicht die Lächerlichkeit des Costums seiner Zeit - verewigen müßt - daß die Kunst ihr eigenes Costum hat, und daß der gothische Zuschnitt, und die vielen Fezen unserer modernen Trachten sich nie mit der Seele des reinen Kunstgeschmackes vertragen werden? - Ihr wollt Kunstwerke haben, wie die Griechen - nun so lernet auch fühlen und denken wie sie. -
Es sind noch einige andere Büsten von diesem nemlichen Künstler da: sie haben alle das Verdienst der Ähnlichkeit, bis auf die steifen Flügel der Blenden an der Haube, und den Bauschichten Wulst des einhüllenden Halstuches -
Bettkober! wenn ein neuer General um den Wilhelmsplaz zu machen ist, sollst du mir ihn façoniren (modeln) - //
Friedemann -
Ein ehemaliger Zögling der Akademie.
Die Büsten der drey
Kinder der Prinzeßin Ludwig. sie sind
mit einer lieblichen Wahrheit modellirt. ich erinnere mich, solche antike
Kinderköpfe in Gips zum Verkauf herumtragen gesehen zu haben, welche mich wegen
der naiven Wahrheit des kindlichen Ausdruckes immer sehr rührten; so wie mir die
dicken Pfausengel von Fiamingo glaube ich - immer herzlich mißfielen.
So hübsch diese drey sind, so abendtheuerlich ist eine Gruppe, die Prinzeßin Ludewig mit eben ihren drey Kindern vorstellend, welche die Büste des verewigten Prinzen krönet. Es ist nichts schrecklicher, als diese Compositionen u. Gruppirungen unserer modernen Bildhauer: ich muß immer die Augen wegwenden, wenn ich das bunte Gewimmel von mehrern Figuren in den xxxx Attituden zusammen gruppirt wahrnehme.
man möchte hier gern unserm Friedemann, - wie dort Apelles dem Schuster - zurufen: Herr! waget Euch nicht an Compositionen, an eine ganze Figur - bleibt um himmelswillen bey der Büste im Porträt! - //
Bardou
Man legt der ehemaligen Actrice, mad. Baranius, allgemein den Preis des
Reizes, und selbst der Schönheit bey. in dieser Statue von Bardou hat sie keines
von beyden: sie ist als Ariadne auf Naxos gebildet - sagt der Catalog - aber was
karakterisirt sie als solche? Die Attitude kann jedem andern Sujet eben so
natürlich seyn: attributen sind weiter nicht da: und wie soll man in dem
schleppenden Gewand von schwerem Stoffe eine griechische Heroin erkennen?
Die Statue der Pandora transeat -
ist von Quitschreiber: unter den drey Brustbildern stellt eine den Iffland vor: eine schreckende Physionomie mit ausgehöhltem Augenstern - hat er in ihm den wüthenden Macbeth bilden wollen? - Friedeman, wie sind deine Kinder lieblich: geh, und bilde du die miene des großen Schauspielers.
Was die übrigen Bildhauerarbeiten betrift, erlauben Sie mir schon, mein Freund, daß wir die Namen Otto Sahler, Unger, Selvino, Hageman, Schwarzkopf u.s.w. vorüber gehen - vielleicht // geben sie uns, oder einem andern Gelegenheit etwas mehr von ihnen bey einer künftigen Ausstellung zu sprechen.
Parent -
ist ein Holzschneider:
man kann seiner Hand die Künstlichkeit nicht absprechen. Wäre ich ein reicher
Herr, würde ich ihn sehr gut zu gebrauchen wißen: um mir schöne Spiegel Rahmen
zu schneiden, architektonische Glieder auszuarbeiten, Thüreinfaßungen u. d.
gleichen flach zu verzieren und Rosetten in die Decken von Holz zu machen. ich
würde ihn gut bezahlen; aber ihm die Zeichnungen vorlegen, und mich sehr hüten
seinen eigenen Erfindungen zu applaudiren: denn ein Raritätenzimmer mit hölzern
Vögeln und Blumen würde wohl in meinem Pallaste nicht zu treffen seyn.
Abramson
Hätten Sie Lust eine gallerie Porträte von weimarischen,
jenaischen, gothaischen, göttingischen, und berlinischen Gelehrten zu schauen,
so würde ich Sie bey den in wachsboßirten Medaillons des Herrn Abramson's
vorbeyführen. Da aber diese Herrn nicht im erhöhten Ideal - sondern in sehr
Heterogenen, und unsaubern Gesichtszügen ausgestellt sind - so werden Sie mir
wohl vergeben, daß ich Sie nicht über diesen Markt führe. Lavatern möchte ich hören, der aus diesen
zerfallenen Formen wahrsagen sollte.
Bey den in Gips bronzirten Medaillons von H. König in Breslau habe ich eben so wenig Lust zu verweilen - ich eile um Ihnen von den Mahlereyern zu sprechen - und Historiengemälde:
Diese sind nicht in großer Anzahl, und dieß kann Ihnen schon hinreichend beweisen, was man sich hier von dem Zustande der ersten der Künste zu machen hat.
Um Käufer für diese Art Gemälde zu haben, bedarf man der Kenner, und Liebhaber - und um diese zu haben bedarf man freylich solcher Künstler, die mehr als ein steifes Porträt zu pinseln gelernt haben.
Direktor Rode.
Mehrere seiner
Stücke paradiren noch bey // dieser Ausstellung. Gott habe den guten Mann
seelig. So sehr auch Ramlers
Ode über seine Kunst Sie mag begeistert haben, so glauben Sie doch sicherlich,
daß der Dichter nichts als seine eigene Phantasie sang: und wehe ihm, wenn je
Rode's Werke ihn hätten
begeistern können! - Indeßen fehlet es nicht an Leuten, welche vor seinem
Alexander, der bey dem Leichnam von Darius steht, und denselben mit einem rothen
Tuche decken soll - mit Bewunderung verweilen. Denken Sie sich die gemeinste
Tragbähre, auf der der gemeinste Sanscullotte todt ausgestrekt liegt - und einen
Alexander, wie ihn wahrlich kein Küchenmädchen denken kann: und das ganze
graurothblau gemalt, wie kaum die erste Ebauche eines Schülers aussehen kann! -
Ich denke es ist genug: und Sie hegen keine weitere Lust, von seiner
Samaritanerin, oder den bethörten Jungfrauen zu hören.
Rektor Frisch -
schien sich eben
keine Angelegenheit daraus gemacht zu haben: seinen Ruhm durch diese Ausstellung
zu vermehren. // Ein paar Skizzen sprechen nicht sehr für seine Stärke in der
Composition: und ein sizender Faun, der im großen ausgeführt ist, machet eben so
wenig Anspruch auf das Verdienst eines großen Coloristen. Es scheint, daß er die
Ehre des Vorzug einem seiner Schüler habe überlaßen wollen:
Joh. Kretschmar
ist der junge
Mann, von dem ich nemlich reden will. Luna, die an der Hand des Amors den
schlafenden Endymion besuchet, ist zwar sein einziges Probestück in historischen
Fache: und mehr sprechen allerdings für sein Talent das Porträt von
Feldmarschall v. Möllendorf, und dasjenige einer jungen Dame in Lebensgröße.
Indeßen ist die Composition gefühlt: die Figuren, ohne eben in der Zeichnung
sehr bestimmt und korrekt [zu] seyn, sind richtig in Stellung,
u. Bewegung: und der Ton des Colorites, obwohl er es nicht mit der
Nachtbeleuchtung aufzunehmen wagte, zeiget von einem trefflichen Auge, das die
Natur, und das Nakte zu bezeichnen weiß. // Praktik des Pinsel zeiget sich schon
mehr drinn, als man einem jungen Manne wünschen sollte: wie ihm überhaupt für
die Zukunft mehr Reinheit in den Fleischtinten, und besondern in Halbschatten zu
empfehlen ist. Ich möchte dich loben, junger Mann! und dir gerne den Preis
zugestehen, wenn ich wüßte, daß Lob dich nicht stolz machte, sondern dich
vielmehr anfeuern würde, mit mehr Strenge, Langmuth, u. Eifer voranzugehen. Noch
hast du einen großen Weg zurückzulegen; aber am Talent zum großen Mahler
gebricht es dir nicht! -
Hofrath Puhlmann -
nennet sein
ausgestellet Bild eine Venus, die sich eben auf ihrem Wagen herabgelaßen hat,
wie scheint, sich in einem nahen Teiche zu erfrischen, auf welchem Schwanen
einherschwimmen: Jupiter soll - ich weiß nicht nach welcher Fabel - unter einem
derselben, vermummt seyn, um die Göttin, wie dort die Leda, zu hintergehen. Aber
ihr geflügeter Sohn, der ihr - in der Größe eines Schmetterling, auf ihrem
naken
flattert, scheint iezt mit dem Vater der Götter nicht im guten Verständniß zu
seyn, und // flüstert daher der Mutter ihre nahe Gefahr bey. - soll ich Ihnen
mehr darüber sagen? Je nun! man sieht, daß der Künstler Antiken gesehen hat:
Aber auch nur gesehen: denn dieser Venuskopf ist nach einer Juno mit dem Diadem
copirt: und was die übrigen Formen betrift, so sieht man wohl, daß ihm die Venus
von Medici auch nicht vorgeschwebt hat. Die Art zu mahlen ist eine, aber im
Fleischton besizt der Mahler nicht seine Stärke. Die Landschaft ist in guter
Haltung, und der Wagen mit besonders viel Fleiß ausgemalt.
Grätsch
Drey historische heroische Stücke. Hätte der Künstler Adel in seiner
Vorstellungskraft: mehr richtigkeit, und Bestimmtheit im Detail seiner Formen,
und wüßte er, daß das schwierige Aufeinsezen der Farben - nicht mahlen heißt; so
würde ihm seine Wagestücke niemand verdenken.
Marius auf den Ruinen von Carthago in Lebensgröße. Wenn Du in Minoturnum einen solch grimmiges Gesicht gegen den Gallischen Soldaten machtest, so wundert es mich, daß er dich für ein Gespenst nahm, und // das Mordschwerdt seiner zitternden Hand entfiel.
Der Aug[ustus?] Alexander soll das seyn, der die schöne Campaspe an den Grazienmahler Apelles übergiebt? - wo ist die Grazie? wo das Schöne? wo das Heroische? -
Aber hier ist ja Regulus mit großem Schritt zu den Schiffen der punischen Gesandten eilend - vergeblich liegt seine Familie flehend um ihn her. Wäre mehr Adel der Formen, mehr Feinheit im Ausdrucke, und weniger Unreinheit des Pinsel zu sehen, so würde ich den Marsch der Composition im Ganzen loben, und die Beobachtung des Costums, und einiger Faltenparthien der Gewänder mit Vergnügen bemerken.
Fried. Waitsch aus Braunschweig.
Landschaft Thier,
Porträt, u. Historienmahler:
denn in allen Gattungen sind Stücke von ihm zu
sehen. Mit Vergnügen zeige ich hier an, daß er sich hier im leztern Fache am
stärksten bewiesen.
Das Bild stellt die Schule des Plato, in welche eben
der burleske Diogenes den entfäderten Hahn - Sieh da den Menschen des Plato -
hereinwirft. // Die Anordnung im ganzen ist eines Künstlers würdig: ein
Verdienst, je seltener es ist, desto mehr ist es zu würdigen. Auch die Karaktere
- wenn sie uns auch nicht geradezu nach Athen zaubern - zeigen uns doch
Orientalen, der Farben Ton hat Wärme und Kraft: und vorzüglich gut ist das Bild
in der Haltung gerathen. Der Kenner würde ihm ohne Mühe den Preis unter allen
historischen Gemälden zugestehen. - Aber stellet dieß wirklich eine Schule von
Philosophen vor? ist es nicht mehr der geheime Staatsrath eines orientalischen
Fürsten? Plato wenigstens hat wenigstens mehr das air davon auf seinem Throne.
Und wie kann ein Künstler dieser Art solche Schnizer begehen, daß er den
Socrates zum Schüler Plato's machet? Nur in der figur folgte er der bekannten
Porträtbüste jenes Weisen. Warum ist denn nicht auch bey den übrigen Figuren
geschehen, denn bekannter Maßen sind die Porträte fast aller berühmten Männer
dieser Zeitepoche auf uns kommen? Und // der Künstler soll in Rom studirt haben? - Alcibiades u. Aspasia
sind in ihrer Blüthe gebildet, da Plato schon als ein Mann über sechzig dasizt,
u. Aristoteles scheint wenigstens zehn Jahre mehr zu haben, als seyn Lehrer. Der
Spaßvogel Diogenes nachdem er sein
Ens
bipeps hupfen laßen, hat weiter nichts mit Plato zu thun, sein
Kopf ist seitwärts nach dem Weibergrupp gerichtet. Der hohe Lehrer würdiget den
Spaßmacher mit keinem Blick, mit keiner Miene: und eben so wenig seine Schüler.
Pythagoras konnte nie strengere Zucht in seiner Schule gehalten haben - Wie kann
ein Künstler seinem Werke so wenig Seele einhauchen? warum griechische Weisen in
so weitgefaltete, alles bedeckende, schwere orient(?)alische
Gewänder einhüllen? und warum den gemeinen zur Seite Plato's voransizenden Kerl
so schwarz braun anstreichen? Dieser Contrast ist zu grell gerathen. Dieses
gekünstelte Repoussoir machet selbst in der so schön verstandenen Haltung keinen
geringen Flek. Allein in einem Gemälde, worin soviel vortreffliches ist,
vergeben wir gerne jene nicht kleinen, und nicht wenigen Schnizer.
Mit den zwey Landschaften dieses Mahlers wollen // wir Nachsicht haben, mit der Bedingung, daß er sie in Zukunft nie wieder - außer als Grund für seine historische Stücke mahlet.
Das Porträt seines Vaters bey Lichtschein thut bey dem sehr schönen mahlerischen Kopfe eine gute Wirkung. Indeßen ist die Farbe bey dieser Beleuchtung unwahr, und die auf dem Tische liegende Büste ist zu wenig reflectirt. Überhaupt scheinet dieser Künstler sich zusehr in den Rembrandtische Effektmahlerey bey Porträten verliebt zu haben. Man sagt, daß die großen Porträtmahler Raphael, Titian, Albert Durer, Hans Holbein diese gekünstelten Effekte der an Form und Ausdruck armen niederländischen Schulen nie suchten.
Mad. Henry geb.
Chodowiecka.
Pinxere et mulieres: -
Doch nur diese versuchte es im höheren Genre.
Es sind von ihr drey Stücke da:
Ein sizendes Mädchen, das ein noch
wenig befiedertes Täubchen sorgsam zwischen den Händen hält, und mit seinem
Hauch erwärmt.
Ein vor einem Tische stehendes Mädchen // das das Spiel mit
der Puppe, und dem Domfinken gelaßen hat, und iezt aus dem Buche die Lektion
lernt -
Ein Mädchen vor dem Clavier sizend, und das andere, welches das
Spiel der ältern Schwester mit aufgelehnten Kopfe mit kindischen Aufhorchen
belauscht.
Wie gerne verweilt das Auge bey diesen Stücken des reinen Gefühls, und der naiven Lieblichkeit. Warum mahlen die Frauen nicht mehr! - freulich sind es deine Kinder, die du da mahltest, meine Henry! täglich umgeben dich diese häuslichen Szenen des kindlichen unschuldigen Spieles, - und die Künstlerin trägt kunstlos ihr mütterliches Gefühl auf die Leinwand über. Ich sehe, und forsche, und denke, welches von den dreyen wohl das lieblichste sey: aber immer ist mir das lieblichste gerade das, worauf sich mein Blick heftet. Schwester der Angelica! hätte dich Italien gleich jener erzogen: hättest du aufgeblüht, unter jenen Meisterwerken der Vorzeit; unter Raphael, Correggio u. Guido, und unter dem bescheidenen Lobe des Kenners - so würde auch dein Namen, gleich jener, Europa erfüllen.
Hat eine(!) Gemälde einmal unsere Empfindung // bestochen, so wird es schwer zu sagen, was noch fehlet; - die Kritik hat ihren Stachel verloren. Mehr Wärme der Farbe; weniger graue Einförmigkeit; festere Umriße, und mehr Bestimmtheit selbst im Grunde, und den accessorien würde allerdings sehr releviren und das Gemälde pikanter machen. und wie? ich sehe ja zwey Miniaturgemälde dort - auch Kinder, auch ihre Kinder: Nur so geendiget, nur so gemalt: nur das in den Oelgemälden und im Großen vollführet, was hier in den beyden Miniaturen geschehen ist.
Dem Schwarm von Miniaturmahlern möchte ich gerne rathen fleißig diese beiden Kinder von Mad. Henry zu besehen. Sie können meine Herrn, manches daran lernen, wenn Sie anders Augen haben!
Ich möchte nächste Ausstellung gerne wegen den künftigen Arbeiten der Mad. Henry wiedersehen.
Herr Rösler aus Nürnberg.
Die
unglücklichen Reisenden, ein[e] Skizze aus dem wirklichen Leben - in
oel, u. auf Holz.
Ein am Kopfe beschädigter Mann, wahrscheinlich auf der
Reise, liegt in einer Bauern Stube: Weiber und // Kinder sind mit hülflosem
Beystand um ihn versammelt.
Wer kann zweifeln, daß in diesem Künstler, der
wahrscheinlich noch ein junger Mann ist, ein Mahler stecke. Lernt er im großen
einmal ausführen, was er hier entworfen hat, so soll er mir ein würdiger
Nachfolger seines großen Landsmannes Dürer heißen. Sein ieziger Aufenthalt in Dresden mag ihn weiter führen; aber zu
lange zögere er nicht, sich einen Weg nach Italien zu bahnen.
Es ist eine Freude Talent u. Hofnung zu sehen. Chodowiecka-Henry, Kretschmar, Rösler laßen noch vieles erwarten: auch Fried. Waitsch darf sich in die Reihe
deutscher Historienmahler stellen.
Die andern Geschichtsmahler, die hier
Proben ausgestellt haben, werden mir wohl zu gut halten, daß ich in tiefsten
Stillschweigen bey ihnen vorbeygehe.
Porträte
Wie Sie sich leicht denken können, ist die Ausstellung von Bildnißen in
oel, in Pastell, in Miniatur, in Zeichnungen in Acquarelle überschwemmt.
[Mscr. Dresd. h 37, 4°, 88, Nr. 1].