Rom den 21 ten May 1796.
Gnädige Gräfin!
Brief erschlossen [Von der Gräfin Lichtenau, vor
21.05.1796].
[Schließen]Ihr Brief, der mir Ihre Reise von Rom
bis Ancona erzählt, war mir ein
sehr angenehmer Bote. Ich begleitete Sie im Geiste an alle die intereßanten Orte
hin, welche Sie mir so schön und heiter beschreiben. Die Gefahr, welche Sie
liefen, an einem so steilen Abhange umgeworfen zu werden, machet wahrhaft
schauderhaft; doch ist überstandene Gefahr auch nicht ohne Reiz in der
Erinnerung. Leider sehe ich, daß Gemeint ist hier eine Kopie des Gemäldes von
Raphael in der Basilica delle Santa Casa in Loreto, die zu dieser Zeit
noch für das Original gehalten wurde.
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der schöne Raphael in
Loretto
auch mehr Eindruck auf Sie machte, als Das "Heilige Haus von Loreto" gilt als
Geburtshaus von Maria, das auf wundersame Weise von Nazareth nach Loreto
gekommen sein soll (in Wirklichkeit wohl durch eine adlige Familie mit
einem Schiff der Kreuzfahrer). In einer Altarnische befindet sich die
"schwarze Madonna", die durch den Rauch der ständig brennenden Öllampen
schwarz wurde. Über dem Haus wurde die Basilika errichtet.
[Schließen]das alte berauchte Häuschen der Madonna mit ihren Schäzen von Steinen, Silber und Gold. Ich glaube, daß Napoleon hatte im Italienfeldzug ab März 1796
große Teile Norditaliens, darunter die Lombardei, erobert.
[Schließen]die iezigen Herrn der Lombardey, wenn sie
dahin kämen, nicht ganz so denken würden.
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Der gute Prinz freuet sich sehr auf den eingeseegneten Tabaksbeutel; und allerdings konnte die Schenkerin keine beßere Wahl treffen, um sich bey demselben in tägliche, ja stündliche Erinnerung zu erhalten. Er giebt mir viele schöne Grüße an Sie auf.
Mit Vgl. Hirt an die Gräfin Lichtenau,
14.05.1796.
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Lord Bristol
hatte ich diesen Morgen noch eine lange conversation. Sie stellen sich
vor, wer der Hauptgegenstand derselben war. Er ist noch im Bette, aber täglich
beßer, und voll Geistes. Er bleibt bey der Idee bis Mitte Julius in Pyrmont zu seyn.
Meine Hirt verließ Rom zusammen mit der
Reisegesellschaft der Fürstin von Anhalt-Dessau am 27. Mai 1796. Bis
Venedig war ihm wohl noch nicht klar, wie die Reise weiter verlaufen
würde; auch die Fürstin ging vorerst nur von einer Begleitung bis
Venedig aus.
[Schließen]Abreise von Rom nach Venedig ist beschloßen. Ich begleite die
Fürstin v. Dessau bis
dahin. Meine weitere Reise ist dann noch unsicher.
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Ihre Xxx mir zurückgelaßenen Vgl. Hirt an die Gräfin Lichtenau,
14.05.1796.
[Schließen]Aufträge habe ich Herrn Uhden
übergeben, der in jeder Rücksicht der beßte Mann ist, ihm dergleichen
anzuvertrauen. Ich bestimmte Ihren Willen in allem auf's genaueste mit ihm, so
daß Sie vollkommene Befriedigung haben sollen. Der Banquier Acquaroni wird in der Ausbezahlung der
fertigen Stücke seine Hand, wie die meinige anerkennen. Nur wäre es gut, in ein
paar Zeilen an denselben über der Zeilezu senden, um Ihr
eigenes Gutheißen zu bestätigen.
Auch habe über der Zeileich in Anwesenheit des H. Uhden mit Antonio Chichi, der die Arbeiten in Kork machet, alles auf's Genaueste wegen dem Pantheon, und den nöthigen Restaurationen
desselben verabredet. Ich hoffe, die Arbeit soll er-
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ausfallen; allein vor 6 bis 8 Monaten xx
kann er es nicht vollenden. Bis dorthin würde es dann nöthig seyn, die
Assignation von den Friedrich Matthisson beschreibt in seinen
Erinnerungen die Korkmodelle Chichis und erwähnt auch deren durch die
große Handwerkskunst bedingten hohen Preis derselben: "Das Modell vom
Pantheon, eins der wünschenswürdigsten von allen, kostet nicht weniger,
als zweihundert und funfzig Zechinen" (Matthisson-Erinnerungen, Bd. 4,
S. 342).- Zu Chichis Korkmodellen vgl. auch Hirts Brief an die Gräfin
Lichtenau, 14.05.1796.
[Schließen]250. Zecchinen, das der Preis ist, an H. Acquaroni zu machen; so wie auch die weitern Bestellungen an
Herrn Uhden. zu machen.
H. Prof. Rehberg wünschet auch, daß
Sie etwas Bestimmteres an Ihn selbst, oder H. Uhden berichten möchten, an wen, und wie er Friedrich Rehberg: "Julius Sabinus" und "Oedipus mit Antigone". In der unten
erwähnten "Beyläufige[n] Note" vermerkt Hirt dazu: "NB. diese zwey
Gemälde standen nicht auf der Liste meiner Auszahlung: und noch kürzlich
hatte ich Briefe von Rehberg, woraus ich sehe, daß diese Gemälde zur
Zeit noch nicht bezahlt waren." - "Julius Sabinus" war auf der Berliner
Kunstausstellung 1798 zu sehen mit folgendender Beschreibung im
Ausstellungskatalog: "Vom Hrn. Professor Friedr. Rehberg, in Rom. / 14.
Julius Sabinus, ein Gallier, war einer der Heerführer, welche dem Kaiser
Vespasian das Reich streitig machten. Er gab sich für einen Abkömmling
von Julius Cäsar aus, warb in Gallien ein ansehnliches Heer, und ließ
sich als Cäsar grüßen. In verschiedenen Treffen überwunden, und daurch
aufs Äußerste gebracht, floh er auf ein Landgut, das er anzündete, und
dann von einem seiner getreuen Sklaven verbreiten ließ, er hätte sich
selbst in den Flammen den Tod gegeben, um sich auf diese Weise den
Nachsuchungen zu entziehen. Verborgen in einer unterirdischen Höhle
dieser verbrannten Villa, oder, wie andere wollen, in einem zerstörten
Grabmale, ward er von seiner Gemahlin Peponina, von andern auch Epponina
und Empona genannt, besucht, nachdem sie ihn öffentlich als todt beweint
hatte. Neun Jahre lebten sie zusammen in dieser unterirdischen Höhle,
und zwei Knaben waren die Frucht dieser Liebe. Endlich wurden sie
erkannt, gefangen vor Vespasian gebracht und beide zum Tode verurtheilt.
/ Dieses seltene Beispiel ehelicher Treue ist hier das Sujet des
Gemäldes. Man sieht die unglückliche Familie beisammen in der Höhle. Die
Mutter überreicht dem ältern weinenden Knaben eine Kruste Brod, indem
sie den kleinen an der Brust nährt; ihr selbst quillt die Thräne vom
Auge, und der halb entblößte Vater sitzt in Schwermuth versunken, sein
Antlitz verbergend - Die Waffen im Grunde zeigen auf seinen ehemaligen
Stand" (Börsch-Supan, Bd. 1, Katalog 1798, Nr. 14).
[Schließen]die beyden fertigen Gemälde für Sie absenden könnte. -
In der "Beyläufige[n] Note über die von der Frau
Gräfin v. Lichtenau in Italien acquirirten Kunstwerke" vom 1. März 1798
verzeichnet Hirt unter Nr. 13: "während ihrer Anwesenheit in Rom kam
auch der stumme Mahler Hofmann
mit seinem Bruder allda an: um für dieselbe eine Anzahl schöner Gemälde
theils in Rom, Neapel, und Florenz - wozu ich noch die Liste der zu
copirenden Gemälde entwarf - zu copiren; und bestimmte dafür besagtem
Hofman, u. seinem Bruder einen monatlichen Gehalt. / Verschiedene dieser
Copien sind seither angekommen, u. befinden sich im Hause der Frau
Gräfin: allein der artistische Werth ist in denselben von keiner
Erheblichkeit" (GStA PK, I. HA, Rep. 131 K 159 Nr. 8, unpag.). - In der
Berliner Kunstausstellung 1798 waren "Von dem taubstummen Maler Hrn.
Hoffmann, Mitglied der Academie" "Zwölf Kopieen biblischer Darstellungen
nach den vaticanischen Logen von Raphael" ausgestellt: "Diese Logen
formiren einen offenen Bogengang von dreizehn Arcaden. Das Kreuzgewölbe
jeder Arcade ist mit vier Darstellungen theils aus dem alten, theils aus
dem neuen Testamente bemalt. Die Pilaster, und andere Zwischenflächen
sind mit Arabesken geziert, theils in Farbe, theils in Stuckreliefs
geziert. Raphael zeiget sich in den Logen, als einen wahren Proteus.
Unter allen Arten von Gestalten erscheinet seine reiche unerschöpfliche
Phantasie, welche jedes mit Anmuth zu ordnen, und mit Geist zu verbinden
wußte. Die Ausführung ist zwar nicht von ihm selbst, sondern von den
Händen seiner zahlreichen Schüler: man findet keine strenge Vollendung
des Einzelnen, und das Ganze ist mehr als Decoration zu betrachten. /
Von den 52 Darstellungen sind gegenwärtige 12 Kopieen eine Auswahl":
"Der Schöpfer theilet das Chaos. Der Herr erscheinet in seiner Macht,
wie der Jupiter der Griechen im Ungewitter". - "Er setzet mit leichter
Wendung die beiden Hauptlichter, Sonne und Mond, an das Firmament des
Himmels. Die Erde schwebt zu seinen Füßen". - "Er planirt über der Erde,
mit einer Hand die Gewächse hervorlockend, mit der andern den Gewässern
die Ufer bezeichnend". - "Jetzt steht Er auf der Erde. Der schönste Tag
ist am Horizont aufgegangen. Das ferne Gebirg, die Gewässer, und die mit
Pflanzen reichbekleidete Erde erscheinen in ihrem Glanze. Das Antlitz
des Schöpfers strahlet mit mildgesenktem Blicke. Auf seinen Wink erheben
sich aus dem Staub zahllose Thiergestalten zu ihm empor". - "Adam
erwacht. Mit dem Blick auf die züchtige Eva, welche der Herr ihm als die
Gefährtin seines Lebens vorstellet, durchglühet ihn ein neues Gefühl
seines Daseyns". - "Sie haben das Gebot übertreten. der stattliche
Cherub mit der strengen Miene, doch mit gesenktem Schwerte, treibt sie
fort aus der strahlenden Pforte des Paradieses, ihnen anweisend das Land
der Mühe und des Schweißes. Adam verhüllt seinen Blick. Eva, mit
thränendem Auge gen Himmel, ist das erstemal vom Gefühle ihrer Nacktheit
durchdrungen". - "Abraham liegt tief gebeugt vor den himmlischen
Jünglingen. Sara lauscht unter der Thüre der Hütte". - "Lot, mit starkem
Arme seine beiden Töchter leitend, entfernet sich mit festem Tritte von
der in der Ferne brennenden Stadt, und dem Weibe, das - den Schritt
vorwärts, das Gesicht rückwärts - in eine Salzsäule verwandelt, steht".
- "Eine der schönsten biblischen Idyllen. Der wandernde Jacob grüßet die
freundlich stehenden Schwestern, Lea und Rahel, die zum Brunnen des
Feldes die sich drängenden Schaafe führten". - "Joseph, der erhabene
Jüngling, vor den Thron des Pharao geführt, enträthselt mit
unerschrockenem Sinne den Traum des tiefhorchenden Königs". - "Moses
Auffindung. Das auf dem Nil aufgefangene Körbchen wird geöffnet. Die
Lebensfülle des muntern Knaben wecket die Empfindung der Königstochter
und ihrer Zofen. Doch hält sie sich, gleich der Diana unter ihren
Nymphen, mit Anstand, indem sich die Mädchen der ausdrucksvollen
Naivheit ihres Gefühls überlassen. / In der Ferne entdeckt man das
erhöhte Memphis in dem flachen Nilthale, das der Fluß jährlich unter
Wasser setzt". - "Der Besuch der Königin von Saba bei Salomon. Der weise
König erhebt sich stattlich vom Throne. Die Kommende eilet zu ihm hinan,
indessen ihre mitgebrachten Schätze am Fuße des Thrones ausgegossen
werden" (Börsch-Supan, Bd. 1, Katalog 1798, Nr. 306-317). - Am 11. Mai
1796 teilte Hoffmann dem Minister Heinitz mit, welche Werke "die Gräfin
Ritz zu copiren bestimmt habe". Dazu gehörten außer den oben genannten
noch folgende Kopien nach Raphael aus dem Vatikan: "Die Schule von
Athen", "Der Musenberg" ("Der Parnaß") und "Petrus im Gefängnis" (GStA
PK, I. HA, Rep. 76 alt, III ,Nr. 20, S. 73ff.; vgl. Hagemann 2007, S.
159). - Wilhelm Uhden schreibt am 29. Juli 1797 an die Lichtenau: "Ihre
andern Kunstwerke [außer ihrem von Angelika Kauffmann gemalten Porträt]
werden, wie ich hoffe, auch glücklich in Berlin angekommen sein. Vor
acht Tagen sind, nach einem kleinen Zwischenraum, wiederum einige von
Ihnen hier bestellte Kunstsachen eingepackt worden und jetzt schon von
Rom abgegangen. Diese sind: 1 eine Kiste voll aufgerollter Gemälde,
nämlich: drei Kopien Ihres Malers Hoffmann, nach Wandmalereien Raphaels
in den Stanzen, a) die Kopie der Schule von Athen, b) die Kopie des
Parnaß und c) die Kopie des Petrus im Gefängnis; eine große Landschaft
von Herrn Reinhardt und eine Landschaft von Herrn Müller. 2. Eine Kiste
mit dem korkenen Modell der Rotanda [!]. 3. Der vom Bildhauer Albacini
verfertigte schöne Marmortisch. Diesen habe ich, seiner großen Schwere
wegen, zu Wasser über Hamburg nach Berlin gehen lassen […]" (Atzenbeck,
1925, S. 145).
[Schließen]Ihrem Mahler Hofman
laße ich eine Liste zurück von allen den Gemälden, welche Sie in
Rom, Florenz, Neapel von ihm copirt wünschten.
Mit dem vorigen Courier sandte ich ein Schächtelchen mit dem Porträt des
Grafen v. Wittgenstein u. Vgl. dazu Hirts Brief an die Gräfin Lichtenau,
14.05.1796.
[Schließen]dem Fischerringe
ab: ich hoffe, es ist angekommen. Erhalten Sie, gnädige Freundin in Ihrem
Andenken
Ihren wahren Hirt.