Rom den 16ten Dec. 1794.
Gnädigste Herzogin! Noch bin ich Ew. Durchlaucht meinen gehorsamsten Dank zu sagen schuldig für die
schöne Es handelt sich um das 1794 veröffentlichte und
Anna Amalia gewidmete Werk "Über den
Raub der Cassandra auf einem alten Gefässe von gebrannter Erde" von
Johann Heinrich Meyer und Karl August Böttiger, das neben drei
Kupfertafeln eine "artistische Abhandlung" von Meyer und eine
"archaeologische Abhandlung" von Böttiger enthält. Die beschriebene
Szene von Ajax und Kassandra befindet sich auf einer antiken Vase im
Besitz von Anna Amalia. Meyer schreibt dazu: "Man hat keine eigentliche
Nachricht, wo, wie, und wenn dasselbe [Gefäß] gefunden worden sey; das
Zuverlässige, was ich davon sagen kann, besteht bloss darin, dass der
Cav. Venuti in Neapel solches vor nicht gar langer Zeit von jemand, der
es einzeln besass, für seine Sammlung von Alterthümern gekauft hatte,
und aus dieser ist es nachher an die jetzige durchlauchtige Besitzerin
gelangt" (S. 10). Böttiger schildert die Vasenmalerei wie folgt: "Das
Griechische Gefäss, dessen Mahlereyen durch die vereinigten Bemühungen
zweyer in Italien selbst gebildeter Künstler [= Meyer und Lips] hier in
einer möglichst getreuen Abbildung aufgestellt werden, enthält auf der
Vorderseite auch eine mythologische Vorstellung aus dem Kreise der
angeführten Künstlerfabeln. Die Tochter des Priamus, Cassandra, wird in
der schrecklichen Nacht, in der die Griechen in Troja eindrangen, aus
dem Heiligthume der Minerva, am Altare und an der Bildsäule der Göttin,
bey der sie gegen die Wuth der Griechen Schutz gesucht hatte, von einem
der trotzigsten und wildesten unter ihnen, dem Lokrischen Ajax beym Haar
ergriffen und fortgeschleppt" (S. 28). Hirt erwähnt das "gebrannte
Gefäss" "im Besiz der Herzogin Amalia von Sachsen Weimar" 1797 in seinem
Laokoon-Aufsatz in den "Horen", um seine These vom Charakteristischen in
der antiken Kunst zu untermauern (Hirt: Laokoon, S. 15, Anmerkung g)
(die Vase: rotfiguriger campanischer Krater, um 340/330 v. Chr. heute:
Schlossmuseum Weimar, Inv. Gr. M. VIII, 426). Zur Darstellung dieses
Mythos auf einer Vase im Besitz des Archäologen Vivencio in Nola vgl.
auch: Martin Dönike: Pathos, Ausdruck und Bewegung: zur Ästhetik des
Weimarer Klassiszismus 1796-1806, Berlin 2005, S. 63f.; Briefwechsel
Böttiger-Heyne, S. 534 f.
[Schließen]
Abhandlung von Ajax u. Cassandra
. Es wäre zu wünschen, daß Böttiger und J. H. Meyer.
[Schließen]die H.
Dissertanten
den Vergleich von vielen monumenten beysammen sehen könnten: Der Fleiß
derselben, und die Liebe der großen u. geschmakvollen Beschüzerin dieses schönen
Zweiges der Gelehrsamkeit würden die Welt gewiß viel gutes erwarten laßen. Sehr
hätte ich verlangt, Ew. Durchlaucht ein Gegengeschenk darzubringen; nemlich eine
ausführliche Beschreibung der intereßanten
Tour, welche ich lezten Herbst in Gesellschaft des Prinzen August machte. Ich habe auch soviel
ich konnte, seither daran geschrieben; allein unter der Hand wurden diese
Bemerkungen so voluminös (ohne noch die Hälfte meiner Reise zurückgelegt zu
haben) daß sie sich beßer für ein
| 2 Buch, als für einen Brief
schicken. Auch bin ich seit drey Wochen so anhaltend mit einem jungen Lord
beschäftiget gewesen, daß ich nur in den Abendstunden daran fortschreiben
konnte. Übermorgen reise ich nun in dem Gefolge des Prinzen August nach Neapel, wo ich also für iezt das ganze muß
liegen laßen. Der Prinz zwar will
nicht über einen Monat ausbleiben. Seine Absicht ist bloß die merkwürdigsten
Sachen dort wieder zu sehen, u. bey einigen jagden gegenwartig zu seyn, wozu der
König ihn nach Caserta einlud. Das merkwürdigste, was ich
auf der lezten Tour sah, ist das berühmte Vgl. den zweiten Teil von Hirts Aufsatz, "Bau des Emissärs", in: Die Horen, 8.
Bd., 12. Stück, 1796, S. 1-10. Darin schreibt Hirt über den von den
Römern angelegten unterirdischen Kanal: "Dieses Werk, das größte in
seiner Art, das wir in der Geschichte kennen, ist besonders durch die
Weise merkwürdig, wie es angegriffen, und vollendet wurde. Nicht allein
war der Berg Malleanus durchgebrochen, sondern die ganze Länge des
Kanals durch einen harten Kalkfelsen tief unter der Erde durchgebohrt.
Nur an dieser und jener Stelle fanden sich Zwischenlagen von festem
Lehm, welche ausgemauert werden mußten. Diese ganz unterirdische Arbeit
erweckt billig das Erstaunen eines jeden, der es sieht; 30,000 Mann
arbeiteten eilf Jahre hindurch ohne Unterlaß daran" (S. 2).
[Schließen]Emissarium an dem Fucinischen
See
. Wir haben alle nöthigen Zeichnungen von diesem Werke mitgebracht, welche
ich gedenke stechen zu laßen, und mit der Zeit, wo ich glauben kann, daß die
Menschen wieder Antheil an den friedlichen Künsten werden nehmen können, mit
meiner bereits fertigen Abhandlung
herauszugeben.
| 3 In Sora
oder vielmehr bey Sora weilte ich auf dem Orte, wo Cicero seine geliebte Cicero besaß insgesamt 14 Villen; u. a. an seinem
Geburtsort Arpinum, nahe Sora.
[Schließen]Villa hatte, wo er geboren war. Ich bitte gelegenheitlich sich In seinem Werk "De legibus" (entstanden Ende der
50er Jahre v. Chr.), einem Dialog zwischen Cicero, seinem Bruder Quintus
und seinem Freund Atticus in Arpinum, wird die Gegend wie folgt
beschrieben: "Att[icus] Das ist das erste mal, daß ich hieher komme. -
In Wahrheit! ich kann mich nicht satt sehen. Alle prächtige Landhäuser
mit ihren Marmelsälen und gewölbten Decken, so schön sie auch vergultet
seyn mögen, sind mir dagegen ganz gleichgültig: und wer wollte nicht die
Canäle, welche ihre üppige Besitzer Nilströme und Euripen zu nennen
pflegen, gegen das, was er hier sehen kann, verachten? Wie du also
vorhin, als vom Gesetze und Rechte die Rede war, alles auf die Natur
zurück führtest, also muß auch in dergleichen Sachen, welche zu
Vergnügen, und zur Erhohlung des Gemüths dienen sollen, die Natur den
Vorzug behalten. Ich wunderte mich sonst, (weil ich mir hier nichts als
Felsen und Berg vorstellte, wozu deine eigene Rede, sammt deinen Versen
mich verleiteten) wie gesagt, ich wunderte mich, daß dir dieser Ort so
sehr gefiele: aber nun müste ich mich wundern, wenn du auserhalb Rom
anderswo lieber wärest, als hier." Cicero liebte diese Gegend so, weil
es sein Vaterland sei. "[…] dieses Landhaus, wie du es da siehest, hat
der Fleiß unsers Vaters erbauet und erweitert, und, weil er von
schwacher Gesundheit war, hat er hier sein Leben gröstentheils unter den
Büchern zugebracht: genug, auf dieser Stelle hier, bin ich, bey dem
Leben meines Großvaters, als der altmodische kleine Rittersitz noch
stand, nicht grösser, als der bekannte Hof des Curius im Sabinischen
Lande, zur Welt gebohren. Eine gewisse Empfindung in meiner Seele, die
ich nicht zu beschreiben weiß, macht mir also diesen Ort vielleicht so
angenehm, wie etwa von dem weisesten unter jenen griechischen Königen
gemeldet wird, daß er sein Ithaka wieder zu sehen, die Unsterblichkeit
ausgeschlagen habe" (zitiert nach: Marci Tullii Ciceronis drey Bücher
von den besten Gesetzen aus dem Lateinischen übersetzt und mit einigen
Anmerkungen […] herausgegeben von Johann Michael Heinze. Göttingen 1788,
S. 56-57).
[Schließen]das zweyte Buch von den Gesezen dieses großen Mannes im Eingange übersezen zu laßen; und sich dabey zu
gedenken, daß diese Gegend auch iezt noch eben so bezaubernd ist, als Atticus sie fand. In monte Casino u. Aquino fanden wir eine große Anzahl sehr
merkwürdiger u. wenig bekannter Monumente. von M. Casino bis nach Grottoferrata reisten wir auf der Via latina, welche Hannibal mit der Armee machte, und die so
deutlich Vgl. T. Livius: Römische Geschichte, ed. Josef
Feix, München 1977, Buch XXVI, Kap. 9.
[Schließen]in Tit. Livius beschrieben
ist. Außer dieser größern Tour machten wir noch mehrere kleinere Excursionen
in der Campagno die Roma auf 12.
20. bis 30 Meilen umher. Immer ward etwas neues aufgefunden, oder eine neue
wichtige Beobachtung gemacht. Ich habe nun seit vier u. fünf Jahren her auf
kleinern u. größern Reisen soviel gesehen, u. gesammelt, daß ich anfange, ein
Bedürfniß zu fühlen, nach und nach einiges in die Welt zu schicken.
| 4
Nur kann ich nicht wohl einig mit mir werden, Auf was Weise. – Auf jeden Fall
bin ich gesonnen, eine Auswahl meiner Aufsäze zu treffen (etwa daß es einen
mäßigen Quartband formirt) dabey die nöthigen Kupfer hiezu stechen zu laßen; so
daß ich auf künftigen Sommer, wenn sich ein billiger Verleger fände, das
Manuscript hiezu übersenden könnte. Würde der erste Band hinlängliche Liebhaber
finden, so fehlten die Materialien nicht in einem gegebenen Zwischenraum den
zweyten folgen zu laßen, u.s.w. – wollte der Himmel nur diesem leidigen Kriege
ein Ende machen! Prinz August hat
wieder anfangen laßen, an der See nahe bey Ardea zu graben. Bißher ist aber nichts erhebliches als ein
Bacchuskopf, u. zwey weiblich trappirte Statuen ohne Köpfe gefunden worden. Ich
sah sie noch nicht. Gestern aber sah ich einige merkwürdige Stücke von Bronze,
welche in einem unverzierten Sarcofag von Ein aschgraues basaltisches Tuffgestein, das sich
hauptsächlich am Albanergebirge bei Rom findet.
[Schließen]Peperinstein nahe bey Palestrina gefunden
wurden. Das erste besteht in einer Ein aus Weidenruten gefertigter runder Behälter
zur Aufbewahrung heiliger Gerätschaften
[Schließen]Cista mystica, dann in zwey Patere mit Figuren, u. hetrurischen Namen, weiter in drey
Balsams:Violen, u. drey Antikes Instrument/Gerät zum Abschaben von
Schweiß und Staub.
[Schließen]Strigiles: ein lederner Beutel, gleich einem Pudersak, ist sehr gut erhalten, in
einem Futteral von Bronze. Es scheinen Salben drinn gewesen zu seyn.