Die erste Zuschrift die Sie von mir erhalten, ist durch die Hand eines Unbekannten, den mir aber Herr Geh. Rath von Göthe angelegendst empfahl, ihm einige Addressen für Livorno nach Venedig zu überschicken. Es ist Herr Thurneysen, ein junger angesehener Kauffmann aus Frankfurt, deßen Bekanntschaft, wie ich nicht zweifle, Sie mit Vergnügen machen werden, und durch den guten Empfang, den Sie ihm machen werden, verbinden Sie nicht nur mich, sondern auch den H. von Göthe insbesondere. Verschaffen Sie ihm die Bekanntschaft des H. Holst, so wie auch diejenige vom Hause Finetti, wohin ich ihm auch eine besondere Addresse an die artige Frau des Hauses zuschicken werde.
Handeln Sie indeßen nach unserer genommenen Abrede mit aller Offenherzigkeit in
Ansehung meiner, ich stehe, so viel meine wenigen Kräften vermögen, ganz zu
Ihren Diensten. Dies grüßt Sie
herzlich; er hat eben ein paar kleine Bilder für den Grafen von Fries fertig, die ihm sehr viele
Ehre bey allen Kennern machen. In diesen Tagen hatten wir ein Begräbniß von
einem
| 2 unserer stärksten jungen Leute. Er heißt Kirsch aus Dresden, der einzige Sohn einer reichen und angesehenen
Familie, der mit einem besondern
Talent zur Kunst seit 18 Monaten zum studiren hieherkam. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kannten. Moritz machte die priesterliche Verrichtung
und Moritz hielt die Trauerrede für August Christoph
Kirsch bei dessen Beisetzung am 23. September 1787 auf dem
Protestantenfriedhof bei der Pyramide des Cestius. Eine eindrucksvolle
Schilderung findet sich im 2. Band seiner "Reisen eines Deutschen in
Italien in den Jahren 1786-1788. In Briefen von Karl Philipp Moritz"
(Berlin 1792, S. 168-177): "Rom, den 24. September [1787] / Gestern
haben wir einen jungen Mahler aus Deutschland, August Kirsch, begraben.
/ Dieser junge hofnungsvolle Mann war aus Dresden gebürtig, und in
seinem einundzwanzigsten Jahre nach Rom gereist, um hier in dem
Mittelpunkte der Künste nach den besten Mustern der Alten und Neuern
sich zu bilden. Er kam mit Kraft und Muth gerüstet, und es fehlte ihm
bei seiner Jugend, seinem Fleiß, und erworbenen Geschicklichkeiten,
nicht an schönen Aussichten zu einem glücklichen und ehrenvollen Leben.
/ Außer seiner Kunst besaß er auch reelle wissenschaftliche und
Sprachkenntnisse; las und studierte täglich seinen griechischen Homer,
und war mit seinem lateinischen Horaz vertraut. [...] / In der Kunst
machte er als Jüngling die Fortschritte eines Mannes, und was seinen
Eifer noch vermehrte, war der ehrenvolle Auftrag, welchen er aus seiner
Vaterstadt erhielt, für eine ihrer Kirchen [die Kreuzkirche] ein großes
Alterblatt zu malen. / Alle seine Wünsche und Gedanken konzentrirten
sich nun auf dieß Gemälde, und er nahm keine Rücksicht mehr auf
gesellschaftliches Leben und Vergnügen, sondern miethete sich eine
Wohnung jenseit der Tieber[!], in der Nachbarschaft des Petersplatzes,
wo er wegen der Entfernung des Orts von seinen Freunden und Landsleuten,
die, so wie die meisten Fremden, gröstentheils im Bezirk des spanischen
Platzes wohnen, seltener besucht wurde, und nur noch zuweilen, gleichsam
wie ein Fremder, in ihrem Zirkel sich einfand. [...] / Zu seiner
unaufhörlichen Anstrengung und seinem Ringen mit der Kunst kam noch eine
außerordentliche Zartheit der Empfindung, wodurch seine innern Kräfte
sich selbst immer mehr untergruben, als er den Tod seines jüngern
Bruders vernahm, den er außerordentlich geliebt hatte. [...] / Nun war
nichts, was ihn aufheitern konnte; entfernt von Umgang und Gesellschaft;
allein in seinen öden Zimmern, sich quälend mit melancholischen
Vorstellungen, verlor sein Körper die Widerstandskraft; die Einflüsse
der bösen Luft siegten über seine feste Natur, und er verfiel in ein
Fieber, welches ihn gleichsam hämisch angrif [...]. / In seiner
Krankheit nahm sich einer seiner Hausgenossen, ein spanischer
Geistlicher, Namens Don Ginese, seiner mit [...] Eifer an [...]. / Da
der Kranke sich nun ziemlich wieder hergestellt glaubte, so machte Don
Ginese mit ihm eine kleine Reise nach Kastellmadama, einem Bergstädtchen
hinter Tivoli, in der Gegend, wo Horazens Landguth lag, und wo das
Einathmen der reinen und gesunden Bergluft die Genesung vollenden
sollte, als bald nach ihrer Ankunft ein unvermutheter heftiger Rückfall
den jungen starken Mann, binnen drey Tagen, zum Schrecken und Bedauren
seiner Freunde, in seinem dreyundzwanzigsten Lebensjahre dahinrafte. /
Nun hatte Don Ginese ein solches Interesse, daß dieser Ketzer von seinen
Landsleuten ehrenvoll möchte begraben werden, daß er sich noch denselben
Abend mit dem todten Leichnam in einen Wagen setzte, und ihn so vier
deutsche Meilen weit, heimlich in der Nacht von Kastallmadama nach Rom
brachte, weil es sonst ungeheure Kosten gemacht haben würde, den todten
Körper von dort auszulösen. [...] / Dazu kam noch, daß gerade zu der
Zeit die deutsche Landsmannschaft in Rom sich vorzüglich enge
zusammenschloß, und gleichsam eine eigene kleine Republik für sich
ausmachte. Man besuchte sich, man kannte sich untereinander, und die
Künstler munterten sich wechselweise durch einen rühmlichen Wetteifer
auf. / Was aber einen noch stärkern sinnlichen Eindruck machte, war die
Art des Begräbnisses, wozu, bey einem Protestanten in Rom, die Anstalten
gleichsam heimlich gemacht, und eine Anzahl Sbirren zur Wache genommen
werden müssen, weil man vor der Beleidigung des Pöbels immer noch nicht
recht sicher ist. / Der Begräbnißplatz ist in einer ganz abgelegenen
Gegend der Stadt Rom, noch innerhalb der Ringmauer, bey der Pyramide des
Cestius, [...]. / Dicht bey der Pyramide sieht man die Leichensteine
einiger Engländer und protestantischen Deutschen, die in Rom gestorben
sein; rund umher herrscht entweder die gröste Einsamkeit und Stille,
oder fröliches Jauchzen, wenn das Volk sich um und bey dem Monte
testaceo in Zelten und kühlen Grotten versammelt, um sich hier zu
ergötzen, und des Lebens zu genießen. [...] / Auch stellt sich die
Pyramide, welche schwärzlich und aschgrau, hin und wieder mit grünem
Mooß bewachsen, aus einer kleinen Vertiefung an der alten Stadtmauer
emporsteigt, äußerst malerisch dar, und wurde von dem jungen Kirsch noch
einige Monathe vor seinem Tode gezeichnet, wo er scherzend sagte, er
wolle, wenn er stürbe, mit dem Gesicht gegen die Pyramide gekehrt,
begraben seyn. / Die Kutschen, welche nun unsern verstorbenen Landsmann
begleiten sollten, durften sich erst bey Bocca della Verita, am Ufer der
Tiber, nicht weit vom Aventinischen Berge, wo die Gegenden Roms schon
ziemlich öde werden, versammeln. / Ich nebst drey vertrauten Freunden
des Verstorbenen, fuhren nach seiner Wohnung bey St. Peter, setzten den
schmalen Sarg, so gut es gehen wollte, in eine Kutsche, der wir in einer
andern folgten, und brachten so den Leichnam, in der Dunkelheit der
Nacht, heimlich durch eine lange Straße, die sich an der Tiber hin durch
ganz Trastevere erstreckt. [...] / So gelangten wir über die sixtinische
Brücke nach Bocca della Verita; wo die übrigen Kutschen mit den Sbirren
uns schon erwartet hatten, mit denen wir nun bis an den Eingang zu dem
Reviere, wo die Pyramide steht, den Todten begleiteten. / An diesem
Eingange aber stiegen wir aus und steckten unsre Fackeln an. - Der Sarg
wurde aus dem Wagen gehoben und getragen; wir aber folgten paarweise bis
ans Grab, um welches wir einen Zirkel schlossen, und als der Sarg
eingesenkt war, eine kurze Trauerrede von mir gehalten wurde, nach deren
Endigung die beyden nächsten Freunde und Landsleute des Verstorbenen die
erste Schaufel mit Erde auf den Sarg warfen. / Es hatte sich doch eine
Anzahl Volk um uns her versammelt, welche sich aber ruhig verhielten,
und während meiner Rede sich nur stritten, ob das, was ich sagte,
Englisch oder Deutsch sey? [...] / Wir standen noch einige Minuten - der
Grabhügel war nun aufgebaut - wir löschten die Fackeln aus - und die
Scene verschwand in der Nacht." - An der Trauerfeier nahmen u.a. Conrad
Gessner, der Sohn von Salomon Gessner aus Zürich, Johann Heinrich Lips
und möglicherweise auch Goethe teil. - Der Text von Moritz' Trauerrede
in: Karl Philipp Moritz' Leichenrede auf den Maler August Kirsch (Rom
1787). Mitgeteilt von Anton Kippenberg, in: Jb. der Sammlung Kippenberg,
Bd. 1 (1921), S. 263-266 (GM Düsseldorf).
[Schließen]Leichenrede bey deßen nächtlicher Beerdigung an der Pyramide des C. Cestius.
Dies und ich hoffen bald Nachrichten von Ihnen, indeßen ich mit wahrer Verehrung
Ihrganz ergebenster Diener und FreundHirt / subscripsitRom den 12 ten Oktober / 1787.