Rom den 27 ten May 1789.
Ich muß durch mein langes Stillschweigen, mein lieber Herr Pfarrer, bereits den Verdacht bey Ihnen erwecken, daß ich Sie weniger verehre, als ich wirklich thue. Nein! ich schäze nicht über der Zeileweniger Ihr Herz, als Ihre Geisteskräfte.
Daß Sie mich ganz der Hofnung berauben, Sie iemals in Rom zu sehen, ich gesteh' es, thut mir weh. Was ich Ihnen hierüber schrieb, waren keine Complimente; es war und ist ein Wunsch, der aus meinen eigenen Forschungen entstand.
Hirt kam Ende des Jahres 1782 nach Rom und
verließ die Stadt am 27. Mai 1796 im Gefolge der Fürstin Louise von
Anhalt-Dessau.
[Schließen]Seit fünf Jahren ist Rom
mein Aufenthalt, und wird es auch ferner bleiben. Ich habe mich in das Studium der Kunst, und der Alterthumskunde
eingelaßen, und ich werde auch fortfahren es zu cultiviren. Da ich als ein
wahrer Laye nach Rom kam, und wenig
Anlage habe, so wollte ich mich nie in das Praktische der Kunst einlaßen. Bereits aus dem Altertum sind Quellen zur
Physiognomik erhalten (Aristoteles, Cicero, Plinius, Seneca, Galenus u.
a.). Zu einem großen Erfolg, die eine regelrechte Mode auslösten, wurden
Lavaters vierbändige "Physiognomische
Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und
Menschenliebe" (Leipzig, Winterthur 1775-1778), zu denen
zahlreiche Künstler wie Daniel Chodowiecki, Johann Rudolh Schellenberg
und Johann Heinrich Lips Vorlagen lieferten.
[Schließen]Physiognomik ist in so weit ein Hauptstudium für mich, als sie den wesentlichsten
Theil der Kunst ausmachet. Ich habe eine schwere, langsame Perception. Mein
Gefühl ist noch über weniges deutlich. Aber ich verzweifle nicht. - Die Beiträge erschienen in der von Karl Philipp
Moritz und Hirt herausgegebenen Zeitschrift "Italien und Deutschland". Im ersten
Jahrgang 1789, Stück 1 und 2, erschienen folgende Beiträge von Hirt:
[Anonym]: I. Leben eines jungen Mahlers
Germain-Jean Drouais. - [Anonym]: II Historisch-architektonische Beobachtungen
über die christlichen Kirchen. An H. v. G. in W. - [Anonym]:
IV. Über einige Freskogemälde in einer
Kapelle des Vatikanischen Palastes, nebst einer vorläufigen
Betrachtung über Giorgio Vasari. - [Anonym]: II. Bildhauerey. Über zwey Statuen von den Herrn
Danekker und Scheffauer. - [Anonym]: VI. Beschreibung eines von Hrn. Alexander
Trippel verfertigten Denkmals des Grafen Tzernichew. Rom, im Februar
1789. - [Anonym]: VII. Die
Ausstellung auf der französischen Akademie in Rom vom Jahre
1789. - [Anonym]: IX. Ueber
zwei Gemälde von den Herrn Pitz und Schmid. An Herrn B. zu F. Rom,
den 30. April 1788. - Im 3. Stück 1790 folgten die Beiträge:
[Anonym] I. Uebersicht der Geschichte der
Denkmäler bey älteren und neueren Völkerschaften. - II. Über den wirklichen Zustand der
Pomtinischen Sümpfe, an Fräulein von G. (Rom, 8. Jenner
1790). - III. Über Pompeja.
Neapel, im Oktober 1789. - V. Über Paestum. Neapel, im October 1789.
[Schließen]Ich habe auch angefangen, über eines und das andere zu
schreiben, wann und wo es das Tageslicht sehen wird, weiß ich noch nicht. Lips
lieferte ein Platte zu Hirts Aufsatz "Über einige
Freskogemälde in einer Kapelle des Vatikanischen Palastes" (siehe die
vorige Anmerkung). Die Falttafel ist bezeichnet: "Predigt [des Hl.
Stephanus] in der Kapelle des Fra Giovanni Angelico von Fiesole", Pl.
147 x 197 mm, bez.: "Joh: Ang: Fiesolanus pinx: - H: Lips del: et
sculp:". Weiterhin für Hirts Beitrag "Bildhauerey. Über zwey Statuen von
den Herrn Dannekker und Scheffauer" (siehe die vorige Anmerkung); eine
radierte Falttafel, Pl. 176 x 220 mmm, unbez. [Stecher: Johann Heinrich
Lips].
[Schließen]
Lips hat mir hiezu einige
Platten gestochen, und wird es auch künfthin thun; wenn anders kein Querstrich unsere
Projekte vernichtet. Lips lebte von 1782 bis 1784 und von 1786 bis
1789 in Rom. Danach ging er (bis 1794) als Lehrer an die Weimarer
Zeichenschule.
[Schließen]Ich verliere ihn mehr als in einer Rücksicht sehr ungern.
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Hirt lebte in Rom von seinen Einnahmen als
Cicerone. Er zeigte zahlreichen Reisenden u.a. aus Deutschland, England,
Russland und Polen die Kunstschätze Roms und unterrichtete sie in
kunsthistorisch-archäologischen Kursen, darunter Goethe, Herder, Anna
Amalia von Sachsen-Weimar und Eisenach, Louise von Anhalt-Dessau, die
Gräfin Lichtenau, Prinz August von England. Einige begleitete er auch
nach Neapel und in die dortigen Gegenden.
[Schließen]Da ich mir ein Geschäft daraus mache, fremde Reisende bey Besehung der
Merkwürdigkeiten Roms zu
leiten, oder ich den sogenannten Antiquar mache hatte ich diesen Winter Gelegenheit verschiedene Fremde von Ihrer
Bekanntschaft kennen zu lernen. Sie denken, ob die Rede oft von Ihnen war. Den
H. Gervinus mit dem jungen Boreel, und Baron v. Schack nebst andern Herrn begleitete ich
zusammen. Mit dem Grafen Bielinski
Vater und Sohn bin ich
wirklich noch beschäftiget. Das meiste Vergnügen machte mir aber die Frau von Kroock mit Ihren drey Kindern, und einem jungen Gelehrten
Friedrich Schöll reiste mit der Generalin von
Kroock und deren drei Kindern 1788-1789 durch Italien und Südfrankreich.
Nach kurzen Aufenthalten in Paris begleitete er die Familie nach St.
Petersburg. - Frau von Kroock ließ sich später in Dresden nieder und war
dort Mittelpunkt eines geselligen Kreises. - 1787 hatte sie anonym
"Briefe einer reisenden Dame aus der Schweiz" herausgegeben.
[Schließen]
Schoell
. Ich brachte zwey Monate mit Ihnen zu. Mit mehr Liebe, mit mehr
Vorbereitung und richtigerm Gefühl kann man nicht nach Rom kommen. Die Frau ist wirklich ein
Wunder als Weib und Mutter. Sie sagte mir viel von Ihnen, und trug mir ernstlich
auf, sie in Ihr Andenken zurückzurufen. Ihre älteste Tochter ist noch eine
seltnere Erscheinung, ein so weises Mädchen in jeder Rücksicht. Sie zeichnet
Portraits mit einer Ähnlichkeit, Schärfe, und Bestimmtheit, daß Sie jeden
Künstler beschämt. Mehr Anlage kann die Natur nicht gebe. Der junge Narischkin, der mit ungleichen
Kräften mit dem Fräulein in die Wette zeichnete, fand sich mit seinem Begleiter in der nemlichen Zeit
hier.
Herdern werden Sie wahrscheinlich in
Zürch sehen, Herder kam auf seiner Rückreise von Rom nach
Weimar nicht über Zürich. Am 22. April 1789 schreibt er an seine Frau
Karoline: "Wohin Du unterwegs Deine Br. adressierst, weiß ich selbst
nicht, am besten ists wohl à poste restante: Florenz, Bologna, Parma,
Mailand, sind die gewissen Örter, über die ich reise. Ob ich nach
Venedig komme oder über die Schweiz gehe, zur Rechten oder zur Linken,
weiß ich selbst nicht" (Herder-Briefe, Bd. 6, Nr. 75, S. 143, Z. 7-10).
Am 21. Mai 1789 schreibt er an Dieselbe aus Florenz: "Über meine
Reiseroute bin ich bis auf diese Stunde nicht Eins. Nach der Schweiz
gehe ich nicht, das ist gewiß, und Mailand lasse ich also auch liegen"
(ebd., Nr. 81, S. 151, Z. 47-48). Und am 31. [30.!] Mai 1789 heisst es
an Dieselbe aus Bologna: "Ich gehe nach Venedig [...], gehe nach Pavia
und sodann [...] nach Modena, Parma, Mailand, [...]. Von Mailand über
Brescia nach Trident. Sodann In[n]spruck, München, Nürnberg. Nach der
Schweiz gehe ich nicht; ich bin zu voll von Eindrücken und kann jetzt
nichts mehr sehen" (ebd., Nr. 85, S. 157, Z. 59-64).
[Schließen]obwohl er bey seiner Abreise noch keinen sichern Plan seines Weges
hatte. Er ließ mir einen hohen Begriff
seines
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von seinem Geiste
, den persönlicher Umgang mehr als Schriften giebt, und seine
Freundschaft zurück.
Die Herzogin von Weimar nahm Ihr
Andenken sehr wohl auf. Sie lobte mich, daß ich Ihnen hiehier zu kommen schrieb,
und ward traurig über die abschlägige Antwort. Sie ist seit acht Tagen wieder in
Neapel, oder vielmehr
Portici, Anna Amalia weilte seit 21. Mai 1789 wieder in
Neapel und wohnte in einer Villa in Portici mit schöner Aussicht und
einem Garten mit Grotte. Zusätzlich mietete man noch eine Unterkunft in
der Stadt Neapel am Pizzafalcone-Hügel.
[Schließen]wo sie ein Landhaus hat; Hirt reiste erst am 21. September von Rom ab und
traf am 24. September in Neapel ein. In ihrem Tagebuch vermerkt Luise
von Göchhausen: "Den 24 [September 1789] [...] Auch kamen Abends Hird,
Bury, Burmann [= der Maler und Kunsthändler Peter Birmann] und Robert
mit Knieb, erstere waren von Rom angekommen" (Göchhausen-Reisetagebuch,
S. 104). Hirt war von Einsiedel mehrfach nach Neapel eingeladen worden,
vgl. Hirts Brief an Goethe, 04.04.1789. - Der Gedenktag für St. Peter
und Paul wurde am 29. Juni gefeiert.
[Schließen]ich werde auf ihr Geheiß bis nach S. Peter auch dahin folgen, um den Sommer im dortigen "Der Palazzo Reale in Neapel diente zwar
gelegentlich als Sommerresidenz Ferdinands IV., grundsätzlich war er
über lange Jahre hinweg ein Geheimmuseum, in dem man die Grabungsfunde
von Herculaneum barg. Im Hof des Schlosses war das Lapidarium
eingerichtet, wohin man z.B. die korinthischen Kapitelle der Villa di
Giulia Felice aus Pompeji oder die Marmorstatuen der Balbi aus
Herculaneum brachte. Büsten, Statuen, Mosaike, Malereien,
Gebrauchsgegenstände usw. waren im ehemaligen Palazzo Caramanico
versammelt. Sie befinden sich heute zum großen Teil im Museo
Archeologico Nazionale in Neapel (Göchhausen-Reisetagebuch, Anm. S.
325).
[Schließen]Museum zuzubringen.
Ihrem ergebensten Diener
A. Hirt.