Rom den 28 ten Junius 1794.
Ich habe diesen Morgen, mein Herr Geheimer Rath, das Hirts Ernennung zum sachs.-weimar. Hofrat, vgl.
1794-04-25-v-SWE-Karl August.
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herzogliche Dekret mit [1794-04-25x-v-Goethe].
[Schließen]Ihrem verbindlichen Schreiben erhalten. - Wenn ich je eine Auszeichnung gewünscht hätte, so wäre es auf
die Weise gewesen, wie ich es iezt erfolgt sehe. Achtung zu erhalten von
Menschen, deren Nachsicht man zu verdienen wünscht, ist ein sehr angenehmes
Gefühl, so wie eine nicht minder starke Aufmunterung in der Bahn, die ich
betratt. Ich sehe in Ihrem Briefe, daß das Andenken der Guten nie schläft, und
dann sich besonders wachsam zeiget, wenn die Gelegenheit kömt, Freude zu
verbreiten. Ich danke Ihnen und allen Weimarer Freunden für Ihre gütigen
Gesinnungen gegen mich, und bitte Sie zugleich, meine Erkenntlichkeit, und
Ergebenheit vor den Herzog, und die
Herzogin Mutter zu bringen. 1794-06-21-a-SWE-AnnaAmalia
[Schließen]Ich schrieb unlängst an die leztere mehrere Nachrichten, welche ich hier nicht wiederhole, weil
| 2 Sie dieselben bereits
von ihr werden gehört haben.
In Rücksicht der Vgl. dazu auch Hirts Brief an Anna Amalia vom 21.
Juni 1794 mit Sacherläuterung. – Der Fund der überlebensgroßen
Venus-Statue 1794 machte große Sensation und wird von vielen
Rom-Reisenden enthusiastisch besprochen. Adelheid Müller hat die
Grabungsaktivitäten des Prinzen August, die dieser 1794 bis 1796 im
Umland von Ostia und Campo Iemini unter Leitung von Robert Fagan
durchführen ließ, ausführlich dargestellt und den Fundort der
Venus-Statue, die bald nach dem Finder "Venus Augustea" genannt wurde,
"in der Tenuta Campo Iemini zwischen Ardea und Tor Vaianica, südöstlich
von Ostia nahe der Küste" nachgewiesen (Müller: Sehnsucht, S. 436ff.).
Friedrich v. Matthisson schreibt in seinen Erinnerungen: "Durch die
Entdeckung einer lebensgroßen Venus, von der höchsten Vortrefflichkeit,
ward ihm die Feyer eines antiquarischen Auferstehungsfestes wie seit
einem beträchtlichen Zeitraume keines mehr begangen worden ist. Bis auf
die linke Hand, welche restaurirt werden muß, gewährt das Ganze völlig
den Anblick, als wenn es erst seit gestern aus der Werkstätte des
bildenden Künstlers hervorgegangen wäre. So schonend ward es von der
Zeit behandelt, die, nach einem orientalischen Bilde, mit verbundenen
Augen leicht nur daran vorbeystreifte. Der Marmor ist vom feinsten Korn,
und ward, nach einstimmigem Kennerausspruche, in Griechenland nicht nur
gebrochen, sondern auch verarbeitet. Mehrere Antiquare, worunter auch
Zoega, wollten in den Aufwallungen des ersten Enthusiasmus behaupten,
daß diese Venus die holde Liebesgöttin von Medicis, verdunkele"
(Friedrich von Matthisson: Erinnerungen. Theil 4, Wien 1815, S.
127-128(?) (= Sämtliche Werke, Bd. 6). - Friederike Brun, zur gleichen
Zeit wie Matthisson und die Fürstin von Anhalt-Dessau in Rom weilend,
sah die Statue im Atelier des Bildhauers John Deare, der sie im Auftrag
des Prinzen August restaurierte: "Bildhauer Dear, auch ein Engländer.
Hier steht die neulich auf dem albanischen Wege, sechs Miglien von Rom,
für den Prinzen August ausgegrabene schöne Venus. Man erklärt sie für
die erste, nach der mediceischen, und zieht sie der capitolinischen vor.
Sie ist von weissem Marmor, in der Stellung der mediceischen, merklich
größer, und, wie mich dünkt, etwas schwer. Der Kopf ist ausserordentlich
schön, voll Adels und stiller Selbstgenügsamkeit; das Haar in üppiger
Pracht geordnet, gleich dem Belvederischen Apoll. Von hinten erblickt,
enthüllt der kernhafte volle Körper die Fette der reitzendsten Linien,
und der schöne Rücken ist sanft gespalten, gleich einer reifen Frucht.
Allein Brust und Leib haben nicht jene sanfte ewig jungfräuliche Fülle
der alkamenischen Huldin" (Friederike Brun: Tagebuch über Rom. Mit
Kupfern. Th. 1, Zürich 1800, S. 220 (= Prosaische Schriften, Bd. 3). -
Louise von Anhalt-Dessau ließ von dem Bildhauer Schmidt eine
Marmor-Kopie des Venus-Kopfes anfertigen, die dieser am 15. April 1796
ablieferte und dafür 51 Zechinen erhielt (Tagebuch der Louise von
Anhalt-Dessau, Eintragungen vom 9. und 15. April 1796, Bd. I, S. 208 und
210). Den Kopf vermachte sie später testamentarisch an Hirt (vgl. die
beiden Briefe aus dem Jahr 1811).
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Venus, welche Prinz August in seiner Cava
fand, hohle ich Ihnen nun nach, daß der Kopf unter die vorzüglichsten Dinge
des Alterthums gehört. Ich bath mir vorläufig von dem Prinzen den ersten Abguß aus, den ich Ihnen
mit der ersten Gelegenheit dann zusenden will. So ist auch Vgl. Hirts Brief an Anna Amalia vom 21. Juni 1794
mit Sachanmerkung.
[Schließen]der neu gefundene Antinous weit der schönste. - Die Anzahl junger über der Zeiledeutscher Künstler ist immer ziemlich groß, aber über der Zeilewovon keiner sich besonders auszeichnete. -
Lezthin gieng ein junger Landschaftmaler, Strack aus Cassel,
Seine Mutter war Luise Margarethe Strack, geb.
Tischbein. Ab 1773 wurde Strack von seinem Onkel, dem Kasseler Hofmaler
Johann Heinrich Tischbein d. Ä. ausgebildet. 1787-1794 hielt er sich in
Italien auf.
[Schließen]Vetter von Tischbein
, zurück, der sich sehr hervorschwang. Peter, Schmid der
Historienmaler, Hecker, Gmelin, Maron, Angelica
zeichnen sich forthin in ihren verschiedenen Fächern aus. Die Franzosen sind
schlechterdings alle fort. Der Niederländer
Denis hat iezt in der Landschaft den
meisten Ruf, den er nach meiner Einsicht bey weitem nicht verdient. Bey den
Italienern scheint zuweilen etwas
| 3 hervorzuglimmen, aber leider
zeiget es sich immer zu bald, daß es nur Abglanz war. Der Savoyard
Berger machet immer ein gut
historisch Gemälde, obwohl er Hirt hatte 1787, höchstwahrscheinlich für Goethe,
ein "Verzeichniß der bekanntesten jeztlebenden Künstler in Rom"
angefertigt (Stiftung Weimarer Klassik, GSA, Bestand J. H. Meyer, GSA
64/111,1; gedruckt in D3, S. 316-360), in
welchem die im vorliegenden Brief erwähnten Künstler bereits aufgeführt
sind: Wenzeslaus Peter (deutsche Geschichtmaler Nr. 6); Heinrich Schmidt
(deutsche Geschichtmaler Nr. 27); Hecker (deutsche Bildhauer Nr. 7);
Gmelin (Deutsche Kupferstecher Nr. 2); Anton v. Maron (deutsche
Geschichtmaler Nr. 1); Angelika Kaufmann (deutsche Geschichtmaler Nr.
3); Simon Denis (französische Landschaftsmaler Nr. 6); Jacques Berger
(Französische Künstler: Historienmaler Nr. 7); Canova (Italienische
Bildhauer Nr. 8); Rehberg (deutsche Geschichtmaler Nr. 38); Müller
(deutsche Geschichtmaler Nr. 8); Dies (Deutsche Landschaftsmaler Nr. 2);
Friedrich Büry (deutsche Geschichtmaler Nr. 16).
[Schließen]seit Ihrer Zeit wenig gewonnen hat. Die leztern Sachen von Canova werden immer nachläßiger und
manirierter. Rehberg hat sich sehr
gebeßert, auch im Mahlen, unter andern in einem über der Zeilerecht
Andresen schildert ein Bild aus den 1790er
Jahren, "Venus und Amor", das nach England gelangt sein soll (Andreas
Andresen: Die deutschen Maler-Radirer (peintres-graveurs) des
neunzehnten Jahrhunderts: nach ihrem Leben und Wirken. Bd. 2, 1867, S.
64. - Im Ausstellungskatalog der Berliner Kunstakademie von 1798 ist von
Rehberg eine "Zeichnung in schwarzer Kreide" unter dem Titel "Venus und
Amor von einer Biene verwundet. Nach dem Gedicht des Anakreon"
verzeichnet (Börsch-Supan 1971, 1798, Nr. 301). Vgl. dazu auch den
Bericht von Aloys Hirt im NTM 1798, Bd. 3, S. 292: Ueber die Berliner
Kunstausstellung im Jahre 1798. Berlin, den 20. Oktober 1798: "Vom
letztern [Prof. Rehberg] sind noch ein Paar ausgeführte Zeichnungen nach
eigenen Gemälden vorhanden, worunter der verwundete Amor nach Anakreon
allgemeinen Beyfall erhält. Das Originalgemälde verkaufte der Meister an
Lord Bristol."
[Schließen]großen Bilde, den verwundeten Amor mit der Venus 40. Lied: Auf den Amor. In der
Übersetzung von Voß: "Einst war Eros der Dieb von der zornigen
Biene gestochen, / Als er Honig dem Korb entwendete. Vorn an den
Händen / Hatte sie all' ihm die Finger durchbohrt; und er blies
sich in die Hände, / Schmerzvoll, sprang auf dem Boden, und
stampfete. Jetzo der Mutter / Zeigt er das schwellende Weh, und
jammerte, daß ein so kleines / Thierchen die Biene nur sey, und
mächtige Wunden sie mache. / Lächelnd sprach Aphrodite: du bist
wohl ähnlich der Biene! / Schaue, wie klein du bist, und wie
mächtige Wunden du machest!"
[Schließen]nach Anacreon
vorstellend; es muß jedem gefallen. Ein anderer Profeßor von Berlin, namens Karstens, ist ein Genie wie Müller. Seit zwey Jahren machet er
Compositionen über Compositionen, ohne weder zeichnen, noch mahlen zu können. -
Dies radirt iezt kleine Blätter.
Büry machet iezt das Vgl. 1794-06-21-a-SWE-Anna Amalia: mit
Sachanmerkung.
[Schließen]Porträt des Prinzen August. Der Prinz kam gestern nach
der Stadt, um diesen Abend die Die alljährliche Illumination der Kuppel des
Petersdoms am Patroziniumstag 29. Juni mit dem traditionellen Feuerwerk
La Girandola an der Engelsburg.
[Schließen]Illumination zu sehen. Büry blieb in
Grottaferrata mit des Prinzen
Arzten. Ich werden ihm das Ihrige
vermelden.
Meine Arbeit geht iezt vorzüglich auf moderne Kunstgeschichte. Sie erinnern sich vielleicht; | 4 . Meine Ideen wurden nach und nach immer reifer; meine Sommerreisen die drey lezten Jahre nacheinander hatten den nemlichen Zweck; so daß ich so ziemlich meine Materialien beysammen zu haben glaube. Ich gehe mit dem Prinzen nicht auf das Land, um ungestört diese Ruhemonate arbeiten zu können. Meine Absicht ist Critische Geschichte; ich suche daher auch meine sehr einfache Theorie über die Künste voran zu schicken. Diese liegt fertig, so wie auch die erste Epoche der Geschichte selbst, welche ich von der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts bis auf unsere Zeiten in fünf eintheile.
An der Geschichte der Architektur bey den Alten Kupferplatten erfodert, und die Auslagen für meine iezigen Umstände noch zu beträchtlich sind, hielt ich indeßen damit inne. - Es geht langsam, aber doch immer etwas beßer voran. -
Erhalten über der ZeileSie mich in Ihrem Andenken; mit den nemlichen Gesinnungen bin ichfortdaurend Ihr ganz ergebner Hirt.