Triest, den 13. März 97.
Lieber Hirt!Ich wage es, Ihnen, und durch Sie meiner lieben Gräfin eine der interessantesten, unterhaltsamsten und der
Gesundheit bekömmlichsten Reisen (wohlverstanden nach Friedensschluß!) in ein
Land vorzuschlagen, wo die Trümmer des alten Roms uns wie Zwerge neben Riesen erscheinen werden. Ich meine
Ägypten. Ich schlage meiner
göttlichen Gräfin vor, mich, wenn der
König seine Reise nach Italien macht, nach Ägypten
Die Reise wurde nicht realisiert. Am 16. November
1797 starb Friedrich Wilhelm II., und die Gräfin Lichtenau wurde
umgehend enteignet und festgesetzt. - Im November 1797 lud Lord Bristol
dann Alexander von Humboldt ein, ihn auf einer Expedition nach Ägypten
zu begleiten. Humboldt, vom Charakter Bristols wohl unterrichtet und
deshalb zögernd, sagte dennoch unter Bedingungen zu (vgl. Julius
Löwenberg: Memoiren Alexander von Humboldt's, Bd. 1, Leipzig
1861).
[Schließen]zu begleiten.
Wir werden zwei große Spronari mit Rudern und Segeln haben. Die Dennis und Herr Professor Hirt werden im
Boot der lieben Gräfin Platz nehmen.
Herr von Savary, der Verfasser der
reizenden "Briefe über Ägypten" (welche,
nebenbei bemerkt, ich Sie bitte, ihr sofort zu verschaffen), wird in dem
meinigen Platz finden. Herr von Savary reiste 1776 nach Ägypten und hielt sich
drei Jahre u.a. in Alexandria, Rosetta und Kairo auf; zehn weitere Jahre
bereiste er Griechenland. - Es war Lord Bristol offenbar nicht bekannt,
dass Savary bereits 1788 gestorben war.
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Savary hat volle acht Jahre
dort zugebracht, spricht arabisch wie ein Araber und wird unseren Reiseweg im einzelnen
bestimmen. Es befinden sich hier mehrere Italiener, die von nichts anderem als
dem schönen Wetter in dem gesundheitsfördernden Klima Ägyptens reden. Mein Schneider, mein
Diener und ein gewisser Lord Bristol schreibt über denselben wie auch
über die ägyptischen Reisepläne in einem Brief an die Gräfin Lichtenau
aus Marburg an der Drau, 20. März 1797: "Liebe Freundin,
anbetungswürdige Gräfin! / Endlich finde ich den Grafen Cassis, den vom
Standpunkt der Ägyptomanie aus, von der ich besessen bin und nicht
lassen kann, so interessanten Mann. Weit davon entfernt, mich von meiner
Ansteckung zu heilen, läßt er mich sie mehr als Medizin denn als
Krankheit betrachten. / Dieser Herr nun, liebe Freundin, ist ein
Millionär mit all der ehrenhaften Gesinnung und den guten Formen eines
Mannes, der ein so gewaltiges Vermögen nicht erworben, sondern ererbt
hätte. Geboren zu Damaskus in Syrien, hat er 35 Jahre seines ebenso
vornehm-großzügigen wie nützlichen Lebens in der Hauptstadt Ägyptens,
Kairo, zugebracht. Dort hat er mit soviel Anerkennung als Gewinn das Amt
eines obersten Zollverwalters oder Generalkontrolleurs die Finanzen
dieses 'Dorados von Afrika' verwaltet. Dreizehn Jahre ist er in dieser
einträglichen Stellung verblieben; er hat sie nur aufgegeben, weil man
ihn zu einer anderen, bedeutenderen, freilich weniger sicheren,
befördern wollte. Der Kaiser Leopold hat das Geheimnis entdeckt, ihn
mittels fortgesetzter, zartester Lockungen in seinem Lande zu halten. Er
hat die Hälfte des alten Aquileia gekauft, wo er durch große
Entwässerungen und Straßenbauten das Problem in Wahrheit umgesetzt hat:
'Wahre Selbstliebe und Liebe zur Menschheit sind dasselbe', also
gleichsam eine 'einzige und unteilbare Republik'. / Da dieser Mann in
der mir neuen Welt Ägypten nicht mein Cicerone sein kann, so erbietet er
sich als mein Schutzherr, mein Engel Gabriel, mich in jenes Paradies
ein- und es genießen zu lassen. Er gibt mir unzählige Empfehlungsbriefe
an seine Bekannten, Untergebenen und Geschäftsfreunde mit und versichert
mir, daß nichts in Europa mit einer Fahrt auf dem Nil während acht
Monaten des Jahres zu vergleichen sei. Er versichert mir, ein
unvergängliches Frühlingskleid schmücke das Land, Regen sei dort
unbekannt, parfümierte Bäder seien das einzige anzuwendende Mittel, den
Körper magerer werden zu lassen; / Wild, Geflügel, selbst das Fleisch
der Schlachttiere sei von erlesenem Geschmack wegen der wohlriechenden
Pflanzen, die die Atmosphäre mit ihrem Dufte schwängere; / die
französischen und griechischen Weine und hauptsächlich die Weine Zyperns
seien dort ausgezeichnet und würden durch das Klima noch besser; / das
Leben dort sei gesund und so lang, daß, wenn man nicht als Kind stürbe,
es selten sei, daß man nicht 100 Jahre alt werde und daß manche Leute in
Kairo ein Alter von 120 Jahren erreichen; / man sei sicher, von einer
Reise in der Dauer einiger Monate zum See Menzale, wo die Luft in hohem
Grade balsamisch wäre, mit neuer Jugendkraft zurückzukehren; / Musik,
Lieder und Tänze seien von einem Entzücken und einem Sinnenreiz, wie es
sich die Phantasie eines Europäers nicht vorstellen könnte, die
improvisierenden Tänzerinnen stünden so hoch über den italienischen, wie
diese über den Straßensängerinnen; / was die Altertümer anlange, finde
man sich vor deren Menge gar nicht zurecht, man könne aber um geringen
Preis Säulen, Obelisken und Sphinxe ohne andere Auslagen als die
Transportkosten erwerben; / man würde von der Stadt Alexandrien bis
Kairo nur zwei oder höchstens drei Wochen brauchen, immer im Angesicht
von Pyramiden, Obelisken und Tempeln, und zwar im schönsten, heitersten
Lande, in der gesündesten und reinsten Luft der ganzen Welt; / die große
Hitze mache sich erst anfangs Juni fühlbar, dann aber mäßige und lindere
die vom Nil aufsteigende Kühle sie so, daß sie nicht belästige; / was
die Frauen betreffe, so hätten Sie als die meinige zu gelten, um nicht
vergewaltigt zu werden, verschleiert sein müssen; Ihre Person wäre dann
aber so heilig und unverletzlich wie die meinige selber, - die Beys oder
Statthalter erwarteten irgendein kleines Geschenk an Tuch oder
dergleichen, man gäbe uns aber dafür einen Janitscharen mit. Dieser wäre
dann / 'Clipei septemplicis Ajax', Ajax mit dem siebenfachen Schild,
siehe Hirt. / Gestern hat Graf Cassis mein Diner mit seiner Anwesenheit
beehrt, heute nehme ich an dem seinigen teil. Er ist ungefähr so groß
wie Ihr lieber Epikuräer Smyth, ebenso heiter, gutmütig gelassen und
gastfreundlich, - er hat viel weniger Bauch und weit mehr Kopf, - ist
Vater einer zahlreichen Nachkommenschaft, von der besonders die Knaben
von großer Schönheit sind. Er ist 50 Jahre alt, sieht aber wie ein
Vierziger aus. / Zu seinem Besitz in Aquileia, das im innersten Winkel
des Golfes von Venedig liegt, hat er noch soeben in Triest einen
prächtigen Palast mit schönen Gärten und Ausblick auf das Meer gekauft.
/ Unter den Auspicien dieser ägyptischen Schutzgottheit wage ich es
also, Ihnen eine Reise vorzuschlagen, auf der Sie die Ruinen des
prächtigen, hunderttorigen Thebens nicht nur sehen, sondern auch
zeichnen können, ferner Pyramiden von 600 Fuß Höhe, desgleichen
Obelisken, neben denen die zu Rom wie Näh- und Stecknadeln aussehen, des
weiteren ungeheure Trümmer von Palästen, deren Erbauer bis nach China
hinein herrschten. Das alles ist zu sehen in dem gesündesten Klima,
unter dem lachendsten Himmel, in dem absonderlichsten Lande, in dem
Lande, das dem unsrigen am wenigsten von allen auf der Welt ähnlich ist.
/ Aber vorher heißt es den Frieden abwarten. Wenn der König seine
Rundreise in Italien macht, schlage ich vor, daß wir uns mit der lieben
Dennis, die Sie nie verlassen wird, erstens nach Sizilien, zweitens nach
Malta einschiffen, an welchen Inseln wir aber bloß vorüberfahren werden,
Sie in dem einen Schiff, ich mit meinen Malern in dem anderen. Dann geht
es nach Kreta, nach Cypern, dann entlang der Küste Palestinas gegen Ende
Oktober nach Ägypten. Drei Tage später werden wir in Kairo landen. In
weniger als acht Tagen werden wir nach den Pyramiden, den Obelisken und
dem hunderttorigen Theben unter Segel gehen. Lesen Sie darüber die
Briefe von Herrn von Savary und schlagen Sie mir es ab, wenn Sie können.
/ Nie wird eine Reise je vorteilhafter für Körper und Seele sein als
diese. Wir werden bis zum November wieder nach Neapel zurückkehren,
nachdem wir alles geerntet, was die andern nicht gesehen und alles
gesammelt, was sie gesehen haben. / Seien Sie, was das Klima betrifft,
überzeugt, daß nichts in Europa ihm gleich kommt. - Sie werden Hirt
mitbringen, ich werde meine Maler mitnehmen. / Leben Sie wohl, liebe
Freundin! Ganz der Ihre. / Bristol." (Atzenbeck, 1925, S.
195-199).
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Graf von Cassis
, ein Millionär, sind mehrere Jahre dort und nie einen Augenblick krank
gewesen. Von Alexandrien nach
Kairo dauert die Reise im Boot
vier Tage, das ist gerade die Zeit, die Herr von Savary dazu gebraucht hat. Von da nach Theben, dem großen Ziel unserer Reise,
braucht man zwanzig Tage. Aber in welchem Lande! Immer zu Wasser, die schönsten
Kunstdenkmäler, die herrlichsten Kunstwerke zur Seite, immer wohlversorgt, alles
im Überfluß und der reinste Cyprische Wein für einen Paolo die Flasche zu
haben.
Unter den Briefen über Ägypten, die Herr von Savary geschrieben hat, empfehle ich meiner lieben Gräfin am meisten den 12., 13., 14., dann den 20. und 24., ferner die Briefe 9, 10 und 11 des zweiten Bandes und fast den ganzen dritten Band.
Wenn Sie ihr den Siehe auch dessen "Mémoire sur les ruines de
Thèbes en Égypte. London 1741".
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Reisebericht von Herrn Norden
, einem Dänen, deutsch oder französisch, verschaffen können, würde sie
sich freuen, um so mehr, als beiden Ausgaben ebenso treue als prächtige
Kupferstiche beigegeben sind.
Was mich betrifft, so werde ich, damit den Annehmlichkeiten unserer Reise nichts mangele, sicher zwei oder drei Maler, sowohl für die Volkstrachten, als auch die Denkmäler und schönen Ansichten, mitnehmen.
Wir müßten bloß Mitte September von Neapel aufbrechen, an den Küsten Siziliens, Maltas, eines Teiles von Griechenland, ferner der Inseln Rhodos, Kreta und Zypern entlang fahren, um vor Ende Oktober in Ägypten anzukommen. In vier Tagen sind wir dann in Kairo und mit dem Nordwind, der fast ununterbrochen weht, gelangen wir in längstens zwanzig Tagen zu den prächtigen Ruinen des hunderttorigen Thebens. Ich schlage vor, um der großen Hitze auszuweichen, die Pyramiden usw. bis zu unserer Rückkehr aufzusparen. Lieber Hirt! Wäre das nicht eine, für einen Mann von Ihrem großen Wissen und Ihrer unermüdlichen, wissenschaftlichen Arbeit wünschenswerte Reise? Welche herrlichen Zeichnungen würden nicht meine Maler anfertigen! Welch prächtiges Werk könnten wir der Welt als Ertrag unserer gemeinschaftlichen Reise bieten! Ich bin schon ganz begeistert, um so mehr, als sich alles in einem Jahr bequem und ohne die geringste Gefahr machen läßt. Leben Sie wohl, lieber Hirt!
Ihr Freund und Bewunderer Bristol.Ein gewisser Siehe die obige Anmerkung.
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Graf Cassis
, der 12 Jahre lang oberster Zollbeamter in Kairo war, lebt gegenwärtig in einer
kleinen Stadt, namens Marburg,
siebeneinhalb Poststationen nördlich von Laibach. Ich begebe mich mit Empfehlungsbriefen vom Statthalter von Triest und dem Erzbischof von Laibach dorthin, einzig zu dem Zwecke, ihn
zu sehen, Erkundigungen einzuziehen und Empfehlungsbriefe nach Kairo zu erlangen. Man versichert mir, daß
er dort großen Einfluß hat und sich eines außerordentlichen Ansehens erfreut.
Ist dieser edle Enthusiasmus, lieber Hirt, nicht ein würdiger Vorgeschmack auf
unsere entzückende Fahrt nach Ägypten?
Rhodos! Kreta! Zypern! Welch prächtige Pforten zum Tempel Ägypten! Es lebe der Frieden, der uns geleiten soll!