Rom den 14 ten May 1796.
Gnädige Gräfin!Wenn Ihre Reise so glücklich von statten gegangen, wie ich es wünschte, so befinden Sie sich zur Stunde nun wohl und munter in der schönen Venezia. Ich wage es nicht, Ihnen meine gemüthslage seit Ihrer Entfernung schildern zu wollen: man begegnet in der Welt so selten die Personen, mit denen man sich verstehen kann, und in deren Nähe man seine Tage zu verleben wünschet: Aber kaum glaubt man das liebliche Bild zu faßen, so verschwindet der schöne Traum – doch noch glücklich derjenige, den wie mir die Hofnung des Wiedersehens nicht gänzlich entnommen ist! –
An dem nemlichen Morgen Die Gräfin Lichtenau reiste am 9. Mai 1796 von
Rom ab.
[Schließen]Ihrer Abreise ließ mich Der kunstbegeisterte und exzentrische Lord Bristol, den die Gräfin in
München kennengelernt, in Wien wiedergesehen und dann bei ihrem
Aufenthalt in Neapel in seinem Haus besucht hatte, wurde zu ihrem
eifrigsten Verehrer. Es wurde auch der Plan verfolgt, die Tochter der
Gräfin und des Königs, Friederike (damals 16 Jahre alt), mit einem Sohn
von Lord Bristol zu verheiraten, der jedoch überraschend starb. In Rom
bewohnte Lord Bristol eine Villa auf dem Monte Pincio. Der sehr reiche
Lord bot ihr ein finanziell unabhängiges und sorgloses Leben an seiner
Seite an und beschwor sie, in den politisch unruhigen Zeiten mit ihm in
England zu leben. Aus Dresden schreibt er am 01.12.1796 an sein
"Meisterwerk der Natur: Wilhelmina!" : "Meine liebe Freundin, die
Herzogin von Devonshire würde sie in London einführen, und wir würden
zwölf Meilen von London in seeligen Gefilden beständigen Vergnügen
leben. Wir werden beide, wie in Pyrmont, getrennte Häuser bewohnen, um
uns durch die Trennung noch mehr Appetit aufeinander zu machen und auch,
weil meine lieben englischen Landsleute von irrsinniger Delikatesse
sind, die der Eifersucht vor dem Genusse ähnelt. Dort am Meeresufer
werden wir im Bade wie im antiken Bajä tanzen und singen und beim Jagen
und Reiten werden wir uns ständig sehen. wenn Lord Stormonth' Haus in
London zu mieten ist, müßte man es sich sichern; dort werden Sie nach
Herzenslust tanzen und Theater spielen dürfen. Sonst schlage ich auch
ein Schloß in Irland vor" (zitiert nach: Bertold Adolf Haase-Faulenorth:
Gräfin Lichtenau. Ein Schicksal zwischen den Zeiten. Nach bisher
unveröffentlichten Archivakten. Berlin 1934, S. 211). Als das Ende des
Königs bevorsteht, drängt er sie, an ihre Versorgung zu denken.
Haase-Faulenorth bildet in seinem Buch über die Lichtenau eine
Porzellanvase und einen Porzellanteller (mit italienischen Ansichten und
Scherzfiguren) ab, die die Gräfin als Geschenke von Lord Bristol erhielt
(a.a.O., S. 185). – Im Frühjahr 1797 schlägt er der Gräfin und Hirt eine
gemeinsame Reise nach Ägypten vor.
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Lord Bristol
zu sich rufen:
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Lord Bristol litt an Gichtanfällen. Am 9. April
1796 schrieb er an die Lichtenau: "Seien Sie überzeugt, liebe
Wilhelmine, daß der erste Gebrauch, den ich von dem Wiederaufleben
meiner Kräfte mache, der sein wird, daß ich mich nach Rom begebe. Morgen
unternehme ich den ersten Probeversuch auf einem kleinen Ausflug bis
Paestum. Am Samstag kommen wir zurück und am darauffolgenden Dienstag
fahre ich, koste es, was es wolle, durch bis Rom. […] Viele liebe Grüße
[…] an Ihren würdigen, hochachtbaren Cicerone, den hochgelahrten Hirt –
er ist ein Ehrenmann" (Atzenbeck, 1925, S. 181). In einem weiteren Brief
an die Gräfin, Rom, 26. Mai 1796, ist vom "Fortschreiten meiner
Gesundung" die Rede (ebd.). Anfang 1797 erlitt Lord Bristol auf seiner
Reise von Dresden nach München "einen Gichtrückfall" (ebd., S.
199).
[Schließen]ich fand ihn viel beßer: Sie können sich vorstellen, wer der Inhalt unseres Gespräches war; er
wurde darüber so munter, daß ich die Unterredung abbrach, um ihn nicht zuviel
reden zu machen. Er versicherte mich, daß wenn er anders nicht zu den gehörigen
Kräften kommen sollte, er sich in einer Senfte Die Gräfin Lichtenau reiste nach ihrer Rückkehr
aus Italien mit dem König von Juli bis August nach Bad Pyrmont; eine
zweite Kur folgte im Herbst 1796. Lord Bristol hielt sich ebenfalls dort
auf und schrieb ihr unentwegt Liebesbriefe.
[Schließen]nach Pyrmont
bringen laßen würde, um zu bestimmter Zeit Sie alldort zu sehen. Seine
Gesundheit geht seither täglich beßer.
Verschiedene Dinge, wovon Sie mir die Aufsicht übertrugen, werden bereits
eingepakt, als die Die Gräfin Lichtenau erwarb in Rom sieben Korkmodelle von Antonio
Chichi, die nach dem Sturz der Gräfin durch Friedrich Wilhelm III. an
die Akademie der Künste übergeben und auf der Berliner Kunstausstellung
1798 gezeigt wurden: "Janus quadrifrons"; "Der Triumphbogen des Septimus
Severus am Fuße des Kapitols"; "Der Tempel der Vesta zu Tivoli"; "Tempel
der Minerva medica zu Rom"; "Der Tempel der Friedensgöttin"; "Das
Pantheon"; "Der mittlere von den drei Tempeln zu Pästum" (Börsch-Supan,
1971, Bd. 1, Ausstellung 1798, Nr. 262-268). Von diesen der
Kunstakademie überlassenen Modellen ist nur der "Triumphbogen des
Septimus Severus in Rom" erhalten geblieben (Baukunstarchiv der
Preußischen Akademie der Künste). – In einer "Beyläufige[n] Note über
die von der Frau Gräfin v. Lichtenau in Italien aquirirten Kunstwerke"
vom 1. März 1798, die Hirt für Heynitz anfertigte, führt Hirt
"Verschiedene Modelle antiker Gebäude in Kork von Antonio Chichi" auf,
die sich "im Hause der Frau Gräfin" befinden sollen, mit dem Zusatz:
"Sie bestellte noch das Pantheon dazu, das aber, soviel ich weiß, noch
nicht fertig geworden" (GStA PK, I. HA, Rep. 131 K 159 Nr. 8,
unpaginiert [Nr. 8]). Dieses Pantheon-Modell ist im Ausstellungskatalog
1798 neben einer architektonischen Beschreibung mit dem Hinweis
versehen: "Das Modell stellt äußerlich und innerlich eine doppelte
Ansicht dar: die eine Hälfte nemlich, wie dies berühmte Gebäude jetzt
aussieht, und die andere, wie es ursprünglich eingerichtet und verziert
war. Die Restauration der letztern Hälfte ist nach der Angabe des Herrn
Hofrath Hirt verfertigt, welcher im Jahre 1791 eine Abhandlung in
italienischer Sprache über dieses Gebäude publicirte" (1798, Nr. 267,
Sp. 61-62). – Die berühmten originalgetreuen Nachbildungen antiker
Architektur aus Kork wurden seit den 1780er Jahren in Deutschland durch
den Leipziger Kunsthändler Rost angeboten, in dessen Prospekt von 1786
36 Modelle mit Preisen zwischen 15 und 168 Dukaten verzeichnet sind. Die
Modelle wurden von begüterten Adligen auf ihren Rom-Reisen gekauft oder
durch Mittler (z.B. Reiffenstein für die russische Zarin) erworben. Auch
Louise von Anhalt-Dessau kaufte für ihre Winterwohnung in Wörlitz ein
Korkmodell des Vestatempels zu Tivoli (Matthisson-Erinnerungen, S. 218).
– Zum Besuch der Fürstin in der Werkstatt Chichis vgl. Tagebücher LvAD,
Bd. 1, S. 200-201.
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Modelle der alten Gebäude von
Kork
, und dann die Colonne von
Raffaeli . Carlo Ricci wird, nachdem
die
In Hirts Aufstellung über die von der Gräfin
Lichtenau in Rom erworbenen Kunstgegenstände (s. oben) sind unter Nr. 9
aufgeführt "die vollständigen Kupferwerke von Chev. Piranesi: und einige
andere Kupferwerke von Volpato und Morgen". – In SPSG, Slg. der
Kupferstichbände, Inv. Nr. 7-14, befinden sich u.a.: "Veduta del
Sepolcro di Mamia negl'avanzi dell antica a Città di Pompei" Bez.: Luigi
Despez delin. / Cav. Fraco. Piranesi incise 1789."; "Colonna Antonina"
bez.: Piranesi fecit: "Veduta del Sito, ov'era l'antico Foro Romano"
Bez.: Piranesi Architetto fec.; "Arco di settimo Severo" Bez.: Piranesi
Architetto fec.
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Piranesischen
Kupferstiche
gebunden sind, dann als Spediteur die erste Absendung unter der mir
gegebenen Addresse übernehmen; und so soll
| 3 eines dem andern
nachfolgen.
Eines bin ich verbunden, meiner gnädigen Freundin hierüber anzuzeigen: Sie werden sich nemlich vorstellen, welche Sensation die Fortschritte der Franzosen in der Lombardey hier verursacht haben; und man allgemein sehr viel fürchtet. Sollten die Aussichten noch schlimmer werden, so bin ich selbst entschloßen, um den Unruhen zu entgehen, mich entweder nach Toscana, oder gar nach Teutschland zu wenden. In einem solchen Falle glaube ich, würde Herr Uhden die beßte Person seyn, dem ich Ihre Aufträge übergeben könnte. Doch hierüber wünschte ich vorher Ihren Wunsch zu erfahren. Alle Personen, die Sie kannten, und von denen ich höre, laßen Ihnen allgemein die Gerechtigkeit einer besondern Liebenswürdigkeit, und eines edlen Karakters wiederfahren: wobey ich bey jeder Gelegenheit natürlich mit ganzer Seele | 4 einstimme. Prinz August, der weiß, daß ich an Sie schreibe, trägt mir auf, Ihnen alles mögliche Schöne von seiner Seite zu sagen. –
Der Mahler Macco, da Ihnen sein Bild
nicht gefiel, und Sie sich doch so großmüthig gegen ihn betrugen, will zur
Erkenntlichkeit einiges für Sie copiren, und schlug mir daher Auf der Berliner Kunstausstellung 1800 waren von
Alexander Macco "Zwei Köpfe in Aquarella, nach Raphael d'Urbino" und
"Ein Manns-Bildniß" ausgestellt (vgl. Börsch-Supan, Bd. 1, Katalog 1800,
Nr. 88-90). Möglicherweise sind diese hier gemeint. – Louise von
Anhalt-Dessau vermerkt einen Besuch in dessen Atelier am 26. März 1796:
"[…] um halb 11 fuhren wir mit Hirt aus, noch die lezte Portion der
Künstler zu besuchen. Zuerst fuhren wir zum Mahler Anfänger Macco, der
nicht viel und nichts Besonderes eben zu zeigen hatte. Die kleinen
Diebes Geschefte des kleinen Merckurs war sein bestes verfertigtes
Stück, auch die Copie des Kopf der Corrinna von Rafael" (Tagebücher
LvAD, Bd. 1, S. 204).
[Schließen]einige Sachen aus den Zimmern Raphaels
vor: sollten Ihnen aber die Zeichnungen von einigen Sarcofagen noch
lieber seyn, so würde er sehr gerne dießelben machen.
Mit dem nemlichen Courier sende ich das Schächtelchen ab, worin das Porträt für den Grafen v. Wittgenstein, und der Fischerring eingepakt sind. Beylage enthält die nöthige Erklärung hiezu. Möge diese Kleinigkeit ein geringer Beweis meines Herzens gegen Sie, und eine ursache Ihrer bisweiligen Erinnerung an Ihren römischen Lehrer seyn! – Meine Empfehlung an Ihre Reisegefährten. –
Ihr wahrer unveränderlicher Hirt. | 5Die sogenannen Fischerringe, die man zuweilen bey dem Nachgraben findet, sind aus den ersten Zeiten der Christenheit; und waren unter Christen das mysteriöse Zeichen zur Wiedererkennung. Man sieht auf denselben immer zwey Fische mit einem doppelten Anker ein[ge]graben. Es giebt auch einige, welche die Umschrift des griechischen Wortes ichthys (ιχθυς) haben, welches übersezt Fisch heißt. Allein wenn man jede Letter als den Anfangsbuchstaben eines Wortes ansieht, so heißt es im Griechischen – ιεσος (oder ιεσυς) Χριστος θεου υιος σωτηρ – übersezt: – Jesus Christus Gottes Sohn Heiland –
Der doppelte Anker bedeutet das Zeichen der versprochenen Hofnung an Wiederauferstehung, und den Genuß des ewigen Lebens.
Der Ring, welchen der Pabst trägt, und noch immer auf den Nachfolger übergeht, heißt iezt noch der Fischerring. –