Rom den 4 ten April 1789.
Noch bin ich Ihnen meinen Dank schuldig, daß Sie mich so vortrefflichen Menschen
wie Herder und Dalberg sind, Vgl. Goethes Brief an Herder aus Konstanz, 5.
Juni 1788 [?]: »Wenn ihr einen Antiquar braucht, wie Ihr denn einen
braucht, so nehmt einen Deutschen, der Hirt heißt. Er ist ein Pedante,
weiß aber viel und wird jedem Fremden nützlich sein. Er nimmt des Tages
mit einer Zechin vorlieb. Wenn Ihr ihm etwas mehr gebt, so wird er
dankbar sein. Er ist übrigens ein durchaus redlicher Mensch« (zitiert
nach: Herder-Italienische Reise, S. 10–11). Das Postskriptum des Briefes
lautet: »Wahrscheinlich wird Euch Hofrat Reiffenstein an einige Orte
führen. Ich empfehle Hirten also zum Supplemente«.
[Schließen]empfehlen wollten. Hirt hatte Dalberg, die Frau von Seckendorff und
Herder in Rom unterrichtet. Herder
schreibt am 22. Oktober 1788 an seine Frau Karoline: "Auch
hier ist unser Curs halb in der Mitte geendigt, mit Hirt nämlich. Die
Museen, Villen, Gebäude, Ruinen sind so ziemlich durch, so daß mir
eigentlich nur die Villa Pamfili und Mattei noch fehlet. […] Den halben
Curs hielt uns die gnädige Frau so unendlich auf, daß viele Stunden
Vormittags verloren gingen, und Nachmittags ist nie was gethan worden.
Theils war Hirt im Anfange so unerträglich weitläufig; die zweite Hälfte
vom Curs waren wir Männer meistens allein, da gings schneller. Dalberg
war aber müde, die Frau trieb ihn auch vor der Hand zu endigen; ich
selbst wünschte es, weil ich überfüllt war, und nach solchen ermüdenden
Zerstreuungen nothwendig einer Einkehr bedarf; also ist er vor der Hand
abgelohnt, und der Curs wird schwerlich mehr fortgesetzt werden, aus dem
auch nichts herauskommt. Jetzt hole ich für mich nach, wiederhole, und
sehe mit Hirt weiter […]" (Herder-Briefe, Bd. 6, S. 65/66). Am 28.
Oktober 1788 meldet er an Dieselbe: "Montag trat ich denn allein mit
Hirt meinen Curs an, und besah das Museum im Capitol, das ich noch nicht
gesehen hatte. […] dafür hat mich Hirt mit einer langen Vorlesung im
Bett beglückt, der mich überhaupt sehr quälet. Er ist indeß wieder so
dienstfertig, und ich brauche ihn so sehr, daß ich ihn tragen muß, ob er
mich gleich hart ennuyret. Er ist ein hölzerner Mensch, und war mir im
Grunde von Anfang an zuwider; er weiß indessen viel und ist ein armer
Teufel; man muß ihn dulden. Er thut mir alles zu Gefallen, obgleich
immer nicht viel herauskommt, indem man mit ihm nicht von der Stelle
kommt." (Ebd., S. 68).
[Schließen] Unser Kurs würde vollkommen gut von statten gegangen seyn, wenn nicht öftere
Unpäßlichkeiten der Dame in der
Gesellschaft denselben unterbrochen hätte. Ich muß indeßen auch dieser Dame alle Gerechtigkeit wiederfahren laßen,
obwohl ihr Geschmak mehr für das Moderne als das Antike zu seyn scheinet. Ihre
Frage war öfters nach Ihnen, und sie schien nichts so sehnlich zu wünschen, als
daß Sie noch möchten hier geblieben
seyn. Dalberg ist eine gute Seele;
wie sehr verdiente er in einer beßern und robustern Hülle zu steken! — In
Herders Umgange lerne ich noch
täglich, und sein offenes Gemüth gegen mich hat all mein Zutrauen gewonnen; ich
könnte meine größten Sünden vor ihm bekennen. Herders ambivalentes Verhältnis zu Hirt spiegelt sich in
seinen Briefen wider: einerseits schätzte er dessen Ortskenntnisse und
Gelehrsamkeit, andererseits hielt er ihn für einen weitschweifigen,
trockenen Pedanten und sah in ihm (im Vergleich mit Zoëga) nur
einen "leeren Topf und eine klingende Schelle" (Herder-Briefe, Bd. 6, S.
78). Zwischenzeitlich besserte sich Herders Meinung über Hirt, um wenig
später wieder in ein Verdikt zu münden. An Goethe schreibt er am 3.
Dezember 1788: "[…] der Mensch [=Hirt] beßert sich gewaltig u. er hat
mir einige Sachen, z. E. über
Drouet u. F.… (nun wie heißt der alte Mahler, deßen Bild in
der Minerva an der Einen Thür stehet?) geschrieben, die recht brav sind.
Es wird ein nützlicher Mensch in der historischen Kunststatistik aus ihm
werden. Ich treibe u. hobele ihn gewaltig, u. er hat viel von mir zu
leiden, welches er alles aber recht gut aufnimmt. Er hat mir viele
Gefälligkeiten erwiesen, u. Du stehest bei ihm hoch droben. Er führt
jetzt eine Liefländerin mit ihrer Familie, u. ich sehe ihn also wenig."
(Herder-Briefe, Bd. 6, S. 92).
[Schließen]Auch corrigirt er mich, und vielleicht ist seither mein Starrsinn etwas leidentlicher
geworden.
Auch danke ich Ihnen für Ihre gütige Fürsprache bey der Herzogin, der Fräulein und dem Kammerherrn. Ich darf öfters meine
Aufwartung machen. Die Herzogin hatte
| 2 schon die Güte mich andern
Fremden hier zu empfehlen, und Herr von Einsiedeln hat mich engagirt nach Ostern den Kurs allein mit ihm
zu machen. Ich möchte mich gefällig bezeigen, ohne zudringlich zu seyn, und ohne
Eifersucht anderswo zu erwarten. Auch machte mir H. v. Einsiedeln schon das zweyte mal den Hirt folgte der Reisegesellschaft, die sich seit
Mai 1789 zum zweiten Mal in Neapel aufhielt, gemeinsam mit dem Maler
Friedrich Bury im September 1789 nach. Louise von Göchhausen vermerkt am
24.9.1789 in ihrem Tagebuch: "Abends Hird, Bury, Burmann und Robert mit
Knieb, erstere waren von Rom angekommen" (Göchhausen-Reisetagebuch, S.
104; siehe auch: Zimmer 1999, S. 137).
[Schließen]Vorschlag späterhin mit nach Neapel zu gehen; ich werde mich nach
Umständen dieser Güte bedienen.
Andere Fremde, die ich kennen lernte, und mich höchst intereßirten, ist eine
rußische oder vielmehr Herder hatte Hirt an die Familie von Grote
empfohlen, die dieser Ende 1788 bis Anfang 1789 führt, vgl.
Herder-Italienische Reise, S. 227. In einem Brief Herders an Caroline
Herder vom 22. November 1788 heißt es: »Hirt fängt künftige Woche mit
einer Livländischen Familie, den Kurs an. Es ist mir lieb, u[nd] ich
habe ihn aufs beste empfohlen« (Ebenda S. 254; Herder auch an Goethe (3.
Dezember 1788).
[Schließen]liefländische Dame von Kroote, mit ihrer Familie, das heißt einer Tochter von
12(?), und einer
andern von 11 Jahren, ihrem
Sohn und deßen
Hofmeister. Ich brachte zwey Monat mit denselben zu. Leute, die
mehr vorbereitet, und für das hohe Schöne empfänglicher sind, giebt es wohl
nicht leicht. Mutter und Tochter sind Wunder von Liebenswürdigkeit, und
Verstand; man weiß nicht, ob man die Erzieherin, oder die Erzogene mehr
verehren soll. Die Entfernung kostet mich manchen Seufzer. — Jezt begleite ich
einen jungen Preußen
Baron von Schack wird im Tagebuch von Louise v.
Göchhausen erstmals am 19. Dezember 1788 erwähnt; er war mehrmals, auch
gemeinsam mit Hirt, bei der Herzogin Anna Amalia in Rom zu Gast und
verbrachte mit ihrer Reisegesellschaft einige Zeit in Neapel. Ende April
1789 reiste er von Neapel nach Rom ab.
[Schließen]
H von Schak
, einen Herrn von Graßer aus
Wien, Der junge Boreel hielt sich zusammen mit seinen
Eltern in Rom auf. Er war mehrmals zu Gast bei der Reisegesellschaft von
Anna Amalia.
[Schließen]
Borell
einen jungen Holländer mit
seinem
| 3 Hofmeister Gervinus, der ein vortrefflicher Mann ist, und mir sagt, Goethe hatte im Herbst 1765 an der Universität
Leipzig ein Jurastudium begonnen. Infolge einer schweren Erkrankung
musste er im Sommer 1768 nach Frankfurt zurückkehren. - 1768 kam Karl
August von Hardenberg mit seinem Hofmeister Gervinus zum Studium nach
Leipzig, wo diese Goethe kennenlernten.
[Schließen]daß er Sie noch von der Universität Leipzig her kenne. Und so gehen die Sachen immer beßer. Ich werde auch nie verkennen, daß
ich alles dieß ursprünglich Ihnen zu verdanken
habe. Kleine Kabalen, die mir noch immer gespielt werden, suche ich unbemerkt zu
übergehen. Ich lerne immer mehr, wie eine kluge Biegsamkeit ohne Erniederung
immer beßer hilft, als der uns nur zu gewöhnliche Starre Biedersinn.
Ich erwarte mit viel Ungedult die End(?)antwort von Moritz auf meine ihm schon im vorigen Jahre überschickten Manuskripte. Ich
fürchte für die Zerstörung Die Herausgabe der Zeitschrift "Italien und
Deutschland" in Berlin.
[Schließen]unseres Planes
, da er Karl Philipp Moritz hatte auf Fürsprache von
Herzog Karl August von Sachsen-Weimar und Eisenach 1789 eine Professur
der Theorie der schönen Künste an der Königlich-Preußischen Akademie der
Künste und mechanischen Wissenschaften in Berlin erhalten.
[Schließen]als Prof. nur In der "Monats-Schrift der Akademie der Künste
und mechanischen Wissenschaften zu Berlin" erschienen folgende Beiträge
von Moritz: In wie fern
Kunstwerke beschrieben werden können? (2. Bd., 1788, S. 159-168 und S.
204-210; 2. Jg., 1789, S. 3-5). - Ueber die Würde des Studiums der
Alterthumer (2. Jg., 1789, S. 13-17). - Sind die architektonischen
Zierrathen in den verschiedenen Säulenordnungen willkührlich oder
wesentlich? (2. Jg., 1789, S. 29-34). - Ueber die Allegorie (2. Jg.,
1789, S. 49-54). - Vom Isoliren, in Rücksicht auf die schönen Künste
überhaupt (2. Jg., 1789, S. 66-69). - Minerva (Jg. 2, 1789, S. 70-73). -
Grundlinien zu einer vollständigen Theorie der schönen Künste (Jg. 2,
1789, S. 74-77). -
Möglicherweise
auch: [Anonym]: Nachricht, einige der vorzüglichsten,
neuerlich in Rom verfertigten, Gemählde betreffend. Aus Briefen von Rom
(2. Bd., 1788, S. 92-94 ). - [Anonym]: Ausstellung der Pensionnairs der
französischen Akademie zu Rom" (2. Bd., 1788, S. 237-240).
[Schließen]Mitarbeiter des Journals der
Accademie ist. Ich hätte indessen Ihnen
meine Abhandlung über die Basiliken sehr
gerne dedicirt, erstlich weil dieselbe Herder nebst vielen andern gut findet, zweytens um Ihnen meine
Ergebenheit zu bezeigen, und drittens um unter Ihrem Schuz mit weniger Furcht
zuerst vor dem Publikum aufzutretten. Ich bitte sehr, wenn Sie in der Folge
etwas von meinen Sachen lesen, mir doch mit aller Ihrer Aufrichtigkeit da und
dort ein Wort zu sagen. Ihr Tadel soll mich mehr aufmuntern,
| 4 als das
Lob vieler.
Für die Allgemeine
Literatur Zeitung giebt es sehr wenig materie. [Anonym] Kunstsachen [Anzeige Hirts von
Reiffensteins Arbeit:] Ueber die Wachsmalerey der Alten. In: ALZ 1788,
Bd. 3 (= Julius - September), Sp. 111 (= Nr. 167a vom 12.7.1788).
[Schließen]Meine lezte Übersendung war im Jenner. Ich ersuchte damals den H Prof. Schüz das Honorarium an Sie zu übergeben,
weil Sie ohne dem immer Kommißionen hieher haben. Seither habe ich von demselben
keine Antwort.
Noch eines. Ich habe meine Der Druck erfolgte erst Jahre später : "Laokoon" und "Nachtrag über Laokoon" erschienen
1797 in den "Horen". Hirt hat sich jedoch schon seit etwa 1788 mit
diesem Thema beschäftigt.
[Schließen]Bemerkungen über den
Laokoon
geschrieben, wovon wenn ich mich recht besinne, ich Ihnen schon in Ihrem
Hierseyn sagte. Allein sie wollen nicht gefallen, und Über Hirts Aufsatz schrieb Herder am 3. März 1789 aus Rom an seine Frau
Karoline: "[…] Hirt zeigt sich von Tage zu Tage mehr als Phantasten. Er
hat neulich eine Abhandlung über den Laokoon vorgelesen, darin er mit
solcher stolzen Keckheit auf Winckelmann und Lessing losgeht, und überhaupt die ganze Kunst so
grobsinnig behandelt, daß er mein Innres ganz von sich entfernt hat. Er
ist ein Kohlstrunk und wird ein Kohlstrunk bleiben" (Herder-Briefe, Bd.
6, S. 122).
[Schließen]besonders Herdern
nicht. Ich finde mich darmit in keiner kleinen Verlegenheit. Die ersten
Question betrift den Moment der Vorstellung; meine meinung ist der Lesingschen entgegen, daß ich nicht einen
gemilderten, sondern den höchsten Ausdrucke wahrnehme. Zweytens: daß nicht die stille Ruhe, der
gemilderte Ausdruck, und
überhaupt diese Art von Schönheit, das erste Grundgesez der bildenden Künste
sey, sondern Bedeutung, Karakteristik, Wahrheit. – Meine Sache ist allerdings
sehr choquant besonders wider Lesing, Winckelmann sah die höchste Aufgabe der Kunst darin, die
Schönheit darzustellen. Diese fand er in der antiken griechischen Kunst
verwirklicht, die er als "edle Einfalt und stille Größe"
charakterisierte. Entsprechend hatte Winckelmann auch die Laokoon-Gruppe
aus den Vatikanischen Museen interpretiert: er sah in der Tatsache, dass
Laokoon in seinem Todeskampf nicht schreit, die Bestätigung seiner
These, dass die Griechen grundsätzlich alles Schmerzhafte und Hässliche
aus ihrer Kunst fernhielten (Wikipedia). "Laokoon war den Künstlern im
alten Rom ebendas, was er uns ist: des Polyklets Regel; eine vollkommene
Regel der Kunst […] Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der
griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille
Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des
Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso
zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften
eine große und gesetzte Seele. Diese Seele schildert sich in dem
Gesichte des Laokoon, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem
heftigsten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen
des Körpers entdeckt und den man ganz allein, ohne das Gesicht und
andere Teile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe
beinahe selbst zu empfinden glaubt, dieser Schmerz, sage ich, äußert
sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung.
Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon
singt. Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein
ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibt. Der
Schmerz des Körpers und die Größe der seele sind durch den ganzen Bau
der Figur mit gleicher Stärke ausgeteilt und gleichsam abgewogen.
Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktet: sein Elend
geht uns bis an die Seele, aber wir wünschten, wie dieser große Mann das
Elend ertragen zu können." (Gedanken über die Nachahmung der
Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (Dresden 1755, S.
21f.). - Lessing versuchte allerdings in seiner Schrift "Laokoon oder
Über die Grenzen der Mahlerey und Poesie. Mit beiläufigen Erläuterungen
verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte" (Berlin 1766)" zu
zeigen, dass der neutrale Gesichtsausdruck nicht auf diesen Grundsatz,
sondern auf den Unterschied von bildenden Künsten und Literatur
zurückzuführen sei.
[Schließen]
Winkelmann
, und die [Johann Gottfried Herder]: Kritische Wälder. -
Das "Erste Wäldchen" ist "Herrn Lessings Laokoon gewidmet" und revidiert
kritisch Lessings Aussagen zur griechischen Poesie.
[Schließen]kritischen Walder von Herder selbst. Aber da ich
nichts anders
that, als die häufigen Monumente nebeneinander stellen, und den
Gesichtspunkt anzeigen, unter welchem alle Werke der Alten zusammenlaufen; so
weiß ich nicht, was ich machen soll. – Ich empfehle mich Ihrem theuern Andenken
und bin Ihr dankbarer Diener