Berlin den 20 Sept. 1829.
Verehrtester Freund!Nach ziemlich guter Reise bin ich den ersten dies Hirt hatte sich im Bad in Teplitz und
anschließend auf der Rückreise in Dresden aufgehalten (vgl. auch: An Gerhard, 10.09.1829).
[Schließen]wieder in meiner Wohnung angelangt. Ich suchte sogleich das Versprochene zu besorgen, um mit erster
Gelegenheit es an Sie zu übersenden. Allein die Gelegenheiten dorthin werden
iezt seltener, und um nicht länger zu lauern
überschicke ich den Pack mit der Fahrenden Post. - Dieser Theil machet den Schluß meiner lebenslänglichen Arbeiten über antike
Architektur. Gern fügte ich noch die Geschichte dieser Kunst im
Mittelalter bis auf
Brunelleschi
hinzu. Allein theils hat sie weniger Reiz für den alterthümlich
Gebildeten, theils erfordert sie zu viel Umständlichkeit in Hinsicht der vielen
hiezu nöthigen Kupfer, wenn sie gehörig und verständlich seyn soll. Dann möchte
ich lieber noch anderes fördern, ehe mich die lezte Stunde überrascht, nämlich
die Geschichte der bildenden Kunst bey den
Alten, die mir von jeher eben so am Herzen lag, wie die der Baukunst.
Aber ein Werk dieser Art kann nur langsam zu Ende
schreiten, wenn es gediegen und bleibend seyn soll, besonders in unsern Tagen,
wo sich so viele mit dem ähnlichen Gegenstand beschäftigen, und die Ansichten
noch so abweichend sind. Aber dies schreckt mich nicht.
| 2 Mein Motto von jeher war: thue das Rechte, und scheue
Niemand. - Auch verkennt man mein ganzes Streben, wenn man glaubt, daß ich je
auf irgend jemand eifersichtig war, der sich mit den gleichen Studien
beschäftigt. Ich erkenne gern das Gute von jedem an. Aber ich scheue auch keinen
Streit, so lange ich hoffen kann, daß dadurch etwas Ersprießliches für die
Wißenschaft zu gewinnen sey. Auch bin ich gegen meine Gegner nicht feindselig
gesinnt. So achte ich Herrn
Thiersch
in vielen Beziehungen, Hirt hatte die erste und die zweite Auflage von
Thierschs "Ueber die Epochen der bildenden
Künste unter den Griechen" rezensiert. Vgl. dazu die Anmerkung im Brief an Gerhard,
11.07.1829.
[Schließen]wenn ich gleich zweymal sehr ernsthaft gegen ihn zu Felde zog. Seine kunsthistorischen Ansichten sind falsch, und verdienen um so mehr
Rüge, je dreister sie sich vordrängen und behaupten wollen.
Ich fange an allmählig wieder in meine gewohnten Studien hinein zu kommen. Zuerst
denke ich Vgl. auch Böttigers Rezension "Hirt's Bemerkungen
über die Dresdener Gemäldegalerie und das Antikenmuseum" im Artistischen
Notizenblatt [= Beilage zur Abendzeitung], Dresden 1830, Nr. 14, sowie
Heinrich Hase: "Hofrath Hirt bei den Antiken in Dresden", in: Blätter
für literarische Unterhaltung, 1831, Nr. 56.
[Schließen]
eine kleine Schrift über Dresden's Kunstschätze
herauszugeben, Vgl. den Brief an
Goethe vom 10. Mai 1830.
[Schließen]die ich bereits im Jahr 1819 schrieb, und erst zehn Jahre später mit den erforderlichen Anmerkungen versah.
Noch habe ich mich nach keinem Verleger
hiezu umgesehen. Ich werde nicht versäumen, Ihnen so gleich Vgl. An Böttiger
[und andere], 12.05.1830
[Schließen]ein Exemplar zuzusenden. – Empfehlen Sie mich dem trefflichen
Hase
, und Herrn v. Quandt
. In
Dresden
hatte ich nicht zeit, demselben einige Notizen über In seinem Haus in Dresden hatte v. Quandt ein
Museum eingerichtet, das Künstlern zum Studium offenstand. Siehe dazu:
Verzeichniss der von Herrn Johann Gottlob von Quandt hinterlassenen
Gemälde-Sammlung alter und neuer Meister. Dresden 1868. - Das
Verzeichnis nennt u.a. Lucas Cranach d. Ä., Sandro Botticelli, Fra
Giovanni da Fiesole, Jacob Ruisdael sowie zahlreiche zeitgenössische
Künstler (siehe unten).
[Schließen]seine Sammlung aufzusetzen, wie ich versprach. Ich wollte es hier thun, aber das Papier,
worauf ich meine Noten mit dem Bleistift machte, ist mir auf der Reise abhanden
gekommen, und leider ist mein Gedächniß zu schwach
| 3 um das Notirte
zurückzurufen. Nur der Möglicherweise das im "Verzeichniss" S. 3, Nr. 6
aufgeführte Werk "In der Manier des Pieter Porbus. Lebensgrosses
Frauenbildniss. [...] Die sehr ernste bejahrte Dame ist nach rechts
gewendet, ein eigenthümliches Häubchen deckt den Kopf, die Hände hält
sie in einander geschlagen. Den blosen Hals und die Hände umgeben ein
weisser Kragen und Manschetten. Die Kleidung ist schwarz; oben links
steht die Jahreszahl 1558 auf dunklem Grund" oder das S. 9 Nr. 29
genannte "Bildniss einer ältlichen Dame in reicher Kleidung" von
Christoph Amberger "Auf dem Kopf trägt sie einen dreifachen weissen
Schleier; die Hände zählen den Rosenkranz ab. Der Kopf ist zwei
Dritttheil Lebensgrösse und nach links gewendet. Die Kleidung ist ein
schwerer schwarzer Stoff mit weissen Umschlägen, darunter ein reich
gesticktes, mit Goldtressen versehenes Leibchen". Allerdings stammen
beide Bilder nicht aus der venezianischen Schule. Vielleicht war das
erwähnte Bild zu dieser Zeit auch gar nicht mehr in der Sammlung
enthalten.
[Schließen]Nonnenartigen Gestalt erinnere ich mich noch deutlich. Ich halte dieselbe von keinem
bedeutenden Meister, und von keinem Venezianer der
guten Zeit. Ich freute mich übrigens zu sehen, wie sehr
Herr v. Quandt
den Quandt förderte durch zahlreiche Aufträge
zeitgenössische Künstler, vor allem die Nazarener. Das Verzeichnis
seiner hinterlassenen Gemäldesammlung nennt u.a. Werke von Joseph Anton
Koch, Friedrich von Overbeck, Julius Schnorr von Carolsfeld, Carl
Eggers, Franz Catel, Caspar David Friedrich (u.a. "Die zerstrümmerte
Hoffung"), Gustav Heinrich Naecke, Ludwig Richter (u.a. Die Brautfahrt
unter dem Schreckenstein), Domenico Quaglio, Peter Hess, Franz Krüger,
Friedrich Gauermann, Johann Christian Dahl, Gottlob Friedrich Steinkopf,
Max Joseph Wagenbauer, Johann Theodor Goldstein, Georg Carl Adolph
Hasenpflug, Ernst Oehme, Otto Wagner, Vogel von Vogelstein, Philipp
Veit, Carl Rottmann, Friedrich Helmsdorf, Ferdinand von Olivier, Carl
Anton Graff, Louise Seidler. In Rom hatte er desweiteren Berthel
Thorvaldsen und Johann David Passavant unterstützt.
[Schließen]Schutz der lebenden Künstler sich angelegen seyn läßt. Komme ich das nächste Jahr wieder zu Ihnen, so
werde ich mich mündlich darüber äußern können. Mein
Wunsch und meine Hoffnung ist, daß ich Sie dann auch rüstiger finden werde, und
wir mehr mit einander werden verkehren können, als der heillose Schwindel es
diesmal erlaubte.