Berlin 11 Julj 1829.
Mein verehrtester Herr Professor!Eben wo ich mich anschicke nach den Bädern von
Böhmen abzureisen, erhalte ich noch Ihr erfreuliches Brief erschlossen: [Von Gerhard, 28.04.1829-04].
[Schließen]Schreiben vom 28
ten
April aus Rom. Dasselbe muß also
irgendwo aufgehalten worden seyn. Etwas früher schon erhielt ich die
sechs ersten Kupferblätter zugleich mit dem
Bulletino
durch
Gerstinger
. Ich sehe dadurch, so wie durch Ihren Brief, das erfreuliche
Beginnen Des Archäologischen Instituts in Rom mit der
Herausgabe der "Annali" und des "Bullettino".
[Schließen]des großen Unternehmens. - Ich nenne es groß der vielen Schwierigkeiten wegen, um Männer von so
vielen Nationen vereinigt zu erhalten. Das
Bolletino
hat mich sehr angesprochen, besonders Ihr
Aufsatz über die Ausgrabungen bey Corneto, wovon ich schon Über die Ausgrabungen in Tarquini und Volci
berichtet Gerhard (datiert: Rom, im Februar 1829) in der Beilage der
"Allgemeinen preußischen Staatszeitung" 1829, No. 57, S. 170: "Ueber
wichtige Sammlungen bemalter Vasen und merkwürdigen Erzgeräths, welche
sich theils im Besitz der Stadt Corneto, theils ebendaselbst im
Privatbesitz befanden, kam durch die Herren Kestner und v. Stackelberg
gleichzeitig Kunde an römische Kunstliebhaber, unter denen sich damals
der preussische Hofrath Dorow befand. Mit glücklicher Benutzung der
erhaltenen Nachweisungen legte derselbe nicht bloss den Grund zu einer
eignen reichhaltigen Antikensammlung, sondern veranlasste auch [...]
neue und sehr ergiebige Nachsuchungen. Mit besonderem Glück wurden diese
im Frühjahr 1828 auf Grundstücken der alten Stadt Volci ohnweit Canino
versucht; heimliche Ausgrabungen eines seitdem geflüchteten Verwalters
des Prinzen vn Canino brachten dort eine in der Umgegend Roms früher
ungeahnte Masse von Vasenmalereien, in Art der grossgriechischen, ans
Licht, und fielen dem vorerwähnten, bereits als Antikenkäufer bekannt
gewordenen, Hofrath Dorow anheim. Ohne durch eigne Ausgrabungen oder
gelehrte Nachsuchungen auf den Ruhm eines Kunstbeförderers oder
Alterthumsforschers Anspruch machen zu wollen, hat Herr Dorow sonach das
unbestreitbare Verdienst, durch den Ruf seiner Ankäufe wichtige
Nachgrabungen veranlasst, und durch eine betriebsame Benutzung der
mancherlei Kanäle des römischen Kunsthandels eine fortwährend höchst
ausgezeichnete Vasensammlung erhalten zu haben. Fortgesetzte
Nachgrabungen des Prinzen von Canino, der Herren Candelori, Campanari
und Feoli sind seitdem gefolgt, und haben nun seit Jahresfrist, einer
ungefähren Schätzung zufolge, an 800 jener grossgriechischen
Vasengemälde zu Tage gefördert, die man früher dem Boden Etruriens
völlig absprach. Keine dieser Sammlungen ist jedoch bis jetzt mit
ausgezeichneten Stücken, selbst des schönsten Styls griechischer Kunst,
in gleichem Grade ausgestattet, wie die ersterwähnte derselben, deren
unbeschränkter Besitz nach angemessener Befriedigung der von Lucian
Bonaparte über Unregelmässigkeit ihres Ankaufs geführten Beschwerden
fortwährend dem Hofrath Dorow verbleibt." Die Aktenstücke "des zu
völliger Sicherstellung des Dorowschen Vasenbesitzes geführten
Processes" erschienen später in der Beilage zu No. 170 der Staatszeitung
von 1829.
[Schließen]in der Staatszeitung mit Vergnügen las.
Dorow
ist zwar ein nebeliger Mensch; aber Dorows Vasensammlung wurde 1831 für das
Königliche Museum angekauft.
[Schließen]die acquisition seiner Vasensammlung sehe ich für unser
Museum
als nothwendig an, besonders da wir Vgl. An Gerhard,
08.12.1827.
[Schließen]
die Kollerische
haben. Leztere Sammlung habe ich vor kurzem gesehen. Sie hat meiner
Erwartung nicht entsprochen, obgleich ich einige Prachtstücke in derselben nicht
verkenne, so ist doch das Meiste nur Ausschuß.
Die Zeichnungen, welche mir
Dorow
zeigte, haben vielmehr Intereße, und ich glaube, daß man zu der
Schätzung von 17000 reichstaler wohl noch einige tausend beyfügen
könnte, um diese Schäze eines so wichtigen Bodens nicht entgehen zu laßen. Nicht
weniger intereßirt mich die neue Ernte von Zeichnungen, welche Sie von Hetrurien erhielten; und doch, schreiben Sie, bleibt
noch vieles zu thun.
Boeckh
und ich werden alles versuchen, um die Academie dafür zu gewinnen. Ich habe bereits Vgl. An Gerhard,
07.11.1827.
[Schließen]einen Aufsaz an
Boeckh
übergeben, der ihn,
| 2 da ich wegen meiner Abreise es nicht selbst thun
kann, in der Classensizung vorlegen wird, und wir sind
nicht ohne Hofnung, daß uns diesmal der vorschlag gelingen soll. Das Resultat sollen Sie durch
Böckh
oder mich erfahren. Lezterer grüßt freundlichst, und hofft, daß Sie
zur Zeit bereits sein Schreiben und den intereßanten Inscriptions greques publiées par M. Böckh. In:
Annali dell'Instituto di Corrispondenza Archeologica per l'anno 1829, S.
155-174.
[Schließen]
Aufsaz für das
istituto
erhalten haben sollen. - An Beim Druck in den "Annali" ist vermerkt:
"Tradotto dal tedesco. / Dall'autore medesimo".
[Schließen]die Übersezung meines Aufsazes über das
Palladium
werde ich erst nach meiner Rückkunfft aus den Bädern denken können. Es ist mir lieb, daß
die beiden andern Aufsäze schon übersezt
sind, und bald gedruckt werden sollen. -
Die Jahrbücher für wißenschaftliche Kritik
Die "Jahrbücher" wurden bis Juli 1829 bei Cotta
in Augsburg gedruckt; ab August 1829 bei J. F. Starcke in Berlin.
[Schließen]werden iezt hier gedruckt, und ich habe eben noch die Correctur einer
Recension
durchgesehen, welche die zweite Auflage der
Kunstepochen von Thiersch
betrift. Thiersch hatte sich mit der Kritik von Hirt und
von Karl Otfried Müller an seinen Abhandlungen "Ueber die Epochen der
bildenden Kunst unter den Griechen" mit einer 1829 erschienenen
erweiterten Neuauflage seiner drei Abhandlungen auseinandergesetzt und
seine Positionen verteidigt, in der er "der Verfallsthese Winckelmanns
widerspricht und zugleich behauptet, dass die griechische Kunst kein
autochthones Erzeugnis sei, sondern aus Ägypten und Phönizien stamme. An
die Stelle des Winckelmann'schen Modells einer in Stilperioden
gegliederten Entwicklung der antiken Kunst nach dem Schema von Wachstum,
Blüte und Verfall setzt Thiersch ein Modell, demzufolge die bildende
Kunst unter den Griechen lediglich 'zwey Epochen, jede von beynahe
gleicher mehr als funhundertjähriger Dauer', kenne, die beide durch eine
dritte, in den Zeitraum um die fünfzigste Olympiade fallende
'hundertjährige Epoche der Entwickelung voll hoher Eigenthümlichkeit
verbunden' seien" (Martin Dönike: Altertumskundliches Wissen in Weimar,
2013, S. 202). In der 2. Auflage schreibt Thiersch u.a. im "Ersten
Nachtrag zur dritten Abtheilung": "Was aber von Hirt, angeblich nach
Plinius, über das Aufhören der Kunst gesagt wird, beruht auf der ganz
grundlosen Verwerfung derjenigen Ansicht, nach der Plinius, welcher in
jenem ganzen Abschnitt von der Statuaria handelt, in cessavit deinde ars
allein diese, demnoch die aeris fundendi scientia, verstehen konnte,
keineswegs die ganze bildende Kunst. Wohin sofort Herr Hirt mit jenen
willkürlichen Ausdehnungen komme, zeigt sich gleich darauf: die Kunst
wird wieder belebt, also war sie todt, oder doch sterbend? Das geschieht
durch Athenäer, also Künstler der attischen Werkstätte, die nach Rom
kommen. Wie nun sollen wir das denken? War die Kunst in Athen todt, d.
h. gab es damals in Athen keinen namhaften Künstler, wie kamen die Römer
dazu, sie nach Rom zu rufen? und kamen sie als ausgezeichnete Künstler
dahin, wie konnten sie die Kunst daselbst wieder beleben, welche in Rom
zuvor nie gelebt hatte, in ihnen selbst aber nicht gestorben war?
Anderes aber hat Herr Hirt gegen die Sache im Ganzen nicht vorgebracht"
(S. 403). - Vgl. auch An Gerhard,
08.12.1827. - Karl Otfried Müller hatte Thierschs Buch über
die Epochen der bildenden Kunst unter den Griechen in einer Rezension in
[Wiener] Jahrbücher der Literatur 1826, Bd. XXXVI, S. 170-191, Bd.
XXXVIII, S. 258-290 und 1827, Bd. XXXIX, S. 129-157, kritisiert (wieder
abgedruckt in: Karl Otfried Müller's kleine deutsche Schriften über
Religion, Kunst, Sprache und Literatur, Leben und Geschichte des
Alterthums gesammelt und herausgegeben von Eduard Müller. Bd. II,
Breslau 1848, S. 315-398).
[Schließen]Der Autor ist gegen mich und Carl Otfried Müller gewaltig
hergefahren.
Otfried Müller bekräftigte seinen Standpunkt in
der Abhandlung "Übersicht der griechischen Kunstgeschichte von
1829-1835", in: Hallische Allgemeine Literaturzeitung, Juni 1835, Nr.
97-110, Sp. 145-256 (wieder abgedruckt in: Kleine deutsche Schriften
(siehe oben), 1848, S. 638-751, bes. S. 665ff.), und in seiner ebenfalls
1835 erschienenen zweiten Ausgabe des "Handbuch der Archaeologie der
Kunst". Eine direkte Polemik gegen Thiersch findet sich in den nach
seinem Tod von Adolf Schöll in Frankfurt a.M. 1843 herausgegebenen
"Archaeologische[n] Mittheilungen aus Griechenland nach Carl Otfried
Müller's hinterlassenen Papieren".
[Schließen]
Müller will ein ganzes Buch
gegen ihn schreiben.
Meine Recension
ist nur ein Bogen stark, aber ich glaube hinreichend, um diesen
Brausekopf zur Raison zu bringen.
Angenehm ist mir zu hören: daß von der Beschreibung Roms bereits 12 Bogen gedruckt sind, u. der Druck nun regelmäßig fortgeht. - wie steht es aber mit der Fortsezung Ihrer Monumente, und dann mit Neapels Museum? - Es ist zum Verzweifeln, daß Cotta iezt so fahrläßig wird.
Hirt war am 13. April 1829 aus der
Einrichtungskommission für das neue königliche Museum ausgetreten; vgl.
auch die Anmerkung im Brief an Goethe, 10.05.1830.
[Schließen]Von der Commission für die Einrichtung des Museum bin ich abgegangen, und es freuet mich dieser Last los zu seyn, wobey ich nur mit sehr
beschränkten und unwißenden Menschen zu thun hatte. Herr v. Rumohr, der den Posten zu haben wünschte, ist
abgeblizt, und Rumohr unternahm 1828-1829 seine dritte
Italienreise, verhandelte in Florenz und Mailand über Ankäufe für die
Berliner Gemäldesammlung und diente dem preußischen Kronprinzen in
Florenz und Siena als Cicerone.
[Schließen]von Berlin plötzlich
wieder verschwunden. Ich habe ihn nicht
| 3 gesehen. Leben Sie wohl! nach meiner
Rückkunft von Teplitz ein Mehrers
Ihr ergebenster
Boeckh , der mich eben verläßt, grüßt noch einmal freundlichst. -