Unter den von verschiedenen Mitgliedern der philologischen Klasse vorgeschlagenen Die Preisfrage von Meierotto "über die Gothen und den Gothicismus" wurde erst für das Jahr 1800 ausgeschrieben, "bis 1802 verschoben, für 1804 in neuer Fassung wiederholt und mit dem doppelten Preise ausgestattet, endlich bis 1806 verschoben; allein es lief keine Arbeit ein, die man zu krönen vermochte" (Adolf Harnack: Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Erster Band, Zweite Hälfte, Berlin 1900, S. 613; vgl. auch S. 610).
[Schließen]
Preisfragen
scheinet mir die zweyte des H. p. In lateinischer SchriftMeierotto sich am beßten hiefür zu qualifiziren. Nur wünschte ich in Stellung der Frage eine Modification. Ich würde erstlich einiges aus der Frage weglaßen, um dadurch die Aufgabe mit mehr In lateinischer SchriftPræcision bestimmen zu können. Es ist zum Beyspiel ein Widerspruch, daß das In lateinischer SchriftGothische bey einer cultivirten Nation herschend geworden sey: denn in so fern eine Nation wahre Kultur hat, kann kein In lateinischer SchriftGothicismus statt finden. Zweytens glaube ich, müßte man bey der Aufgabe einer solchen Frage schon als ausgemacht voraussetzen, daß dasjenige, was man unter In lateinischer SchriftGothisch versteht, vorzüglich jenen ab[en]theuerlichen Zustand des Mittelalters bezeichne, in welchem sich die Völker in Rücksicht ihrer Verfaßungen, Gesetze, Sitten, Litteratur, und Kunst befanden. Dieser Zustand war weder einer Nation eigenthümlich, noch den fremden Nationen entlehnt; denn er war nichts anders, als ein durch Barbarey zerfallener, und entstellter In lateinischer SchriftRomano-græcismus. Ich erkläre mich:
Die römischgriechische Kultur | 2 zerfiel in sich: Barbaren bemächtigten sich der ehedem cultivirten Provinzen: und ohne eine Art von Kultur mit sich bringend, suchten sie aus den politischen, moralischen, und litterarischen Trümmern, so wie aus den Resten der über den ursprünglichen Text geschriebenvon Kunstwerken der Griechen u. Römer eine neue In lateinischer SchriftOrganisation von gesellschaftlicher In lateinischer SchriftExistenz zu formiren. -

Diese unförmliche Umstaltung und Mischung ward dann in der Folge In lateinischer SchriftGothisch genannt, als man wieder im Stande über der Zeilewar, das Hohe der römischgriechischen Kultur anzuerkennen, und einen Vergleich zwischen der verfeinerten In lateinischer SchriftExistenz dieser ältern Völker mit dem abtheuerlichen Zustand der Menschheit seit dem Verfall des römischen Reiches durch das sogenannte Mittelalter bis in's 15.te Jahrhundert - zu ziehen.

Aus den Ruinen der großen ältern Nationen entstand nun die neuere Bildung der Völker. Durch das Hervorziehen der noch erhaltenen Handschriften aus dem Wust und den Winkeln der Klöster wurde die Menschheit wieder bekannter mit den Verfaßungen, Gesezen, und Lebensweise der Alten. Aus ihren Rednern über der Zeileund Dichtern, so wie aus den hohen Überbleibseln der bildenden Künste, und der Architektur lernte sie auf's neue Geistesannehm- | 3lichkeit, und Geschmack. - Nun verglich man über der Zeiledie litterarischen und Kunstwerke der Römer u. Griechen mit den unseligen Produkten des Mittelalters. Alles Abentheuerliche genannter Zeit ward nun - und zwar zuerst von den Italienern - In lateinischer SchriftGothisch genannt, im Gegensaz mit dem reinen Sinn deßen, was die alte Welt in seinen Trümmern darboth. - Dieß seze ich bey jedem Geschichtsforscher als bekannt, und ausgemacht voraus. ich komme nun auf den Standpunkt der Frage, welche ich auf folgende Weise In lateinischer Schriftredigirt wünschte:

"Vorausgesezt, daß die Menschheit seit dem Verfall des römischen Reiches durch das ganze Mittelalter nichts neues hervorbrachte, sondern alle Produkte desselben - diejenigen der In lateinischer SchriftConstantinopolitanischen Griechen, und In lateinischer SchriftAraber nicht ausgenommen - nur durch Unwißenheit, Aberglauben, und Barbarey entstellte Zusammensezungen, und mißlungenen Nachahmungen der ältern griechischrömischen Kultur sind: - Wird die Frage aufgeworfen: 1mo wann, wo, und wer fieng zuerst an, all das Abentheuerliche, das man in den Verfaßungen, Gesezen und Lebensweise, eben so wohl als in den Produkten der Litteratur, und Kunst des Mittelalters wahrnimmt, In lateinischer SchriftGothisch zu nennen? - 2do | 4 Wie läßt sich der Karakter deßen, was wir in obgenannten Rücksichten In lateinischer SchriftGothisch nennen, am genauesten bestimmen, und In lateinischer Schriftindividualisiren? - 3tio welches sind die Hauptreste eines solchen In lateinischer SchriftGothicismus in unsern heutigen Verfaßungen, Gesezen, Sitten, und Gebräuchen, - und besonders in unsern litterarischen- und Kunstprodukten? —

Berlin den 15ten July 1798.
Hirt.

______________________________________________________________________________________________________________________

Dazu die Bemerkung Meierottos:

Es war nicht, der hier bestimmte In lateinischer SchriftGothicismus, den ich meine; ich glaube auch nicht, daß die academie, indem sie eine Frage aufgiebt, bestimmen müsse, wohin das Urtheil fallen solle.
Ich wünschte vielmehr, daß beweislich beantwortet würde a) ob die Gothen etwas Eigenthümliches gehabt haben, und b) worin es bestanden. Daß sie etwas Eigenthümliches oder was ungefähr gleich viel gilt, aus einer uns unbekanten Quelle Geschöpftes gehabt, schliesse ich um nur auf eine Kunst, auf Baukunst zu sehen aus dem Gothischen Gewölbe. Aber meinen Schluß möchte ich Niemanden aufdringen
Meierotto
18 Jul.

________________________________________________________________________________________________________________________

Darauf wiederum Hirt:

Nach dieser Erklärung des H. In lateinischer SchriftMeierotto sehe ich, daß unsere Fragen ganz verschieden sind. Ich seze schon als ausgemacht voraus, was unser In lateinischer SchriftCollega erst untersucht haben will: indem er vorauszusezen scheinet: Die In lateinischer SchriftGothen hätten wirklich etwas Eigenthümliches gehabt, als z. B. das sogenannte gothische Gewölbe.

Überzeugt aber, daß den In lateinischer SchriftGothen nichts Eigenthümliches in der Baukunst zuzuschreiben ist, eben so wenig als in vielen andern Dingen, welche man ihnen in gewißen Zeiten zueignete, glaube ich, daß durch die nähere Bestimmung der Frage, wie sie in meiner Redaktion gestellt ist, man eher einer bestimmten Antwort entgegensehen dürfte: - Und da die Aufgabe rein historisch ist, so läßt sich dadurch dem Urtheil anderer keinesweges vorgreiffen.

Hirt
den 30ten Julj 98.