Auszug / aus dem Schreiben des Herrn Hofraths Hirt, d.d. Berlin, den 5ten Dec. 1822, die Beurtheilung eines Gemäldes des Malers Grospietsch betreffend.

Ich habe den Einschluß, den ich hiermit an Ew Excellenz zu übersenden die Ehre habe, vor einigen Tagen erhalten. Ich kannte den Namen des Schreibers nicht eher, als mich eine Copie nach C. Poussin, wovon mir das Original sehr wohl bekannt ist, in der In der Berliner Akademieausstellung 1822 war nur ein Gemälde von Herrn "Großpietsch, Landschaftsmaler" ausgestellt: "Eine Gegend in der Nähe Roms, nach der Natur" (Börsch-Supan, 1971, Bd. 1, Ausstellung 1822, Nr. 658). Da dieses Bild als "nach der Natur" bezeichnet war, kann es sich wohl nicht um eine Kopie nach Poussin handeln. Möglicherweise ist eines der neun Bilder Grospietschs gemeint, die auf der Ausstellung 1818 zu sehen waren (ebd., Ausstellung 1818, Nr. 106-114).
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vergangenen Ausstellung
aufmerksam machte, und ich deswegen nach dem Namen des Copisten fragte. Ich für meinen Theil muß gestehen, daß ich diese Copie nicht nur gut und treu, ja selbst vortrefflich fand, und daß ich dieselbe jedesmal, wo ich die Ausstellung besuchte, immer wieder mit großem Vergnügen sah. Dies ist meine Ansicht; und so kann ich wohl glauben, daß es den jungen Mann sehr kränken muß, von Seiten der Königlichen Akademie so nachtheilig beurtheilt worden zu seyn.

Ich schreibe aus reiner Wahrheitsliebe, und mit der vollsten Ueberzeugung; indem ich übrigens die Sache ganz dem hohen Ermessen Ew. Excellenz anheim stelle.

(gezeichnet) Hirt.

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Das Schreiben Hirts bezieht sich auf eine Nachfrage des Ministeriums, da die positive Beurteilung des Gemäldes von Grospietsch durch Hirt einer eher kritischen durch die Akademie der Künste entgegenstand. Beide Seiten hielten an ihrer Beurteilung fest, wobei sich die Antwort des Senats der Akademie der Künste zu einer Generaldebatte über Aufgaben und Pflichten ihrer Institution ausweitete.

Reskript des Kultusministeriums an die Akademie der Künste. Berlin, 29. Dezember 1822 [PrAdK 21, Bl. 124r-v]:

Die Königliche Akademie der Künste hat in dem Bericht vom 21ten August c. über die Copie nach einem Gemälde des Poussin, die der jetzt in Rom sich ausbildende schlesische Maler Grosspietsch hieher gesandt, ein nicht eben günstiges Urtheil vorgelegt, welches dem Künstler mitgetheilt worden ist. Dieser, der viel Zeit und großen Fleiß auf die Copie verwendet hat, ist dadurch sehr gekränkt worden und hat sich an den Hofrath Hirt in einem Schreiben gewendet, welches von diesem dem unterzeichneten Ministerio mitgetheilt worden ist, und ihn um seine Meinung über seine Copie gebeten. Der Herr p. Hirt hat sich veranlaßt gefunden, in einem Schreiben vom 5ten d. M. sein Urtheil dem Ministerio vorzulegen. Aus dem anliegenden Auszuge dieses Schreibens wird die Königliche Akademie der Künste ersehen, daß dieses Urtheil sehr günstig lautet. Der Widerspruch zwischen dieser Beurtheilung und der der Königlichen Akademie ist so auffallend, daß das Ministerium sich veranlaßt findet, das Urtheil des Hofraths Hirt der Königlichen Akademie der Künste mitzutheilen und für künftige ähnliche Fälle die sorgfältigste Aufmerksamkeit zu empfehlen. Der Grospietsch selbst hat in einer neuen Vorstellung darauf angetragen, wenn keine günstigere Beurtheilung seiner Arbeit erfolgen sollte, ihn solche zurückzusenden // um die gedachte Arbeit dem Urtheil einer dortigen Akademie zu unterwerfen. Berlin, den 29ten December 1822. Ministerium der Geistlichen Unterrichts und Medicinal-Angelegenheiten Altenstein [Empfängerbemerkung] eingegangen 8 Jenner 1823 / G Schadow.

Bericht des Senats der Akademie der Künste an das Kultusministerium zum Gutachten von Hirt über das Gemälde von Grospietsch. Berlin, 29. Januar 1823 [PrAdK 32, Bl. 11r-14v]:

[Empfängerbemerkungen auf dem Rand]: Bericht der Kön. Akademie der Künste den gutachtlichen Bericht über eine Copie nach G. Poussin von Grospietsch betreffend auf das Rescript vom 29. Dec. v. J. (20, 469) / S. ferner Bericht vom 12. May. Seite 73. / Antwort hierauf / Rescr. vom 20 März.

Gegenwärtig bei dieser Verhandlung waren: / H. Director Schadow, / Herr Profeßor Niedlich, / Herr Profeßor Hummel, / Herr Profeßor Buchhorn, / Herr Profeßor Rabe, / Herr Profeßor Rauch, / Herr Profeßor Tieck, / Herr Profeßor Kuhbeil.

Ew Excellenz und Einem hohen Ministerio berichtet die Königl. Akademie der Künste, daß in der am 18. d. statt gefundenen Senatsitzung das an dieselbe unter dem 29. Dec. vorigen Jahres erlaßene Rescript verlesen, und nach dem der Inhalt von den hier neben verzeichneten anwesenden Mitgliedern des Senats reiflich erwogen, beschloßen worden, wie folget ehrerbietigst einzureichen. Die Akademie kann das mit Bericht vom 21. Aug. v. J. nach innerer Ueberzeugung mit Sorgfalt, Aufmerksamkeit und erforderlicher Sachkenntniß abgefaßte Gutachten über die Copie nach einem Gemälde von G. Poussin von Grospietsch nicht zurück nehmen. Während der Ausstellung, wo diese Copie im vortheilhaftesten Lichte aufgestellt sich befand, war das Urtheil der Künstler hinsichtlich der darin enthal[t]enen Mängel nicht allein übereinstimmend mit dem der Akademie, sondern bei einzelnen noch strenger, demnach wie es auch nicht anders zu erwarten stand auf das vollkommenste bestätiget. Weit entfernt dem Grospietsch wehe thun zu wollen, hat die Akademie alles herbei geführt, was die in der von ihm angefertigten Copie enthaltene Mängel möglichst entschuldigen konnte; sie hat erklärt, daß um über eine Copie ein vollständiges motivirtes Gutachten abgeben zu können, das Original wonach sie gefertiget sich gegenwärtig befinden müße zuerst, um sie damit zu vergleichen, und zweitens um ersehen zu können, ob das Original // noch so gut erhalten sey daß billigerweise eine gute Copie darnach zu verlangen sey: Durch den damals kürzlich aus Italien zurückgekehrten Maler Schoppe ist in Erfahrung gebracht worden, daß das besprochene von dem Grospietsch copirte Gemälde des G. Poussin durch Zeit und andre Zufälligkeiten sehr gelitten, die Farbe in vielen Theilen unkenntlich, und das Ganze sehr nachgeschwärzt habe; welches zugleich Einem hohen Ministerio mitgetheilt ward. Die in der besprochenen Copie bemerkten Mängel sind auf die Kenntniß der Eigenschaften und Eigenthümlichkeiten welche die Werke des G. Poussin bezeichnen, begründet. Gern läßt die Akademie den großen Verdiensten des Herrn Hofrath Hirt hinsichtlich seiner in der Alterthumkunde und Kunstgeschichte sich erworbenen Kenntniße, so wie seiner Gelehrsamkeit überhaupt die verdiente Gerechtigkeit wiederfahren; sie kann indeß hierin keinen Grund finden, sein Kunsturtheil unbedingt als höchste Instanz zu beachten, und sein ebenfalls über die Copie des Grospietsch nach G. Poussin abgegebenes Gutachten, dem keine Gründe für die Richtigkeit deßelben, oder für die Verwerflichkeit des Akademischen beigefügt sind, und daher nur als individuelle Ansicht gelten kann, für unfehlbar anerkennen, daß es das der Akademie in dem Maaße umzustoßen vermöge, daß Ein hohes Ministerium veranlaßt werden könnte, der Akademie bei ähnlichen Fällen die sorgsamste Aufmerksamkeit zu empfehlen, demnach ihr im gegenwärtigen einen Verweis der Unaufmerksamkeit zu ertheilen, und ihr dadurch den Beweis // einer unverdienten Geringschätzung und des ermangelnden Vertrauens zu geben. Der in beiden Gutachten herrschende Widerspruch liegt wohl darin, daß die Ansichten der Gelehrten und die der ausübenden Künstler über Kunstgegenstände zu öftern im Widerspruch stehen, und dieß auch bei Gelegenheit der Abgabe dieser beiden der Fall gewesen ist. Das Lob welches der Herr Hofrath Hirt der Copie des Großpietsch nach einem Gemälde des G. Poussin ertheilt, wird sich wohl auf die schöne Composition dieses Meisters beziehen, die ausübenden Künstler glaubten diese als dem Poussin angehörend nicht weiter bei Beurtheilung dieser Copie beachten zu dürfen, sondern glaubten vielmehr ihre Aufmerksamkeit auf das richten zu müßen, was zum Hervorbringen einer guten Copie erforderlich ist, und meist dem technischen angehört. Die Vortreflichkeit welche der Herr Hofrath Hirt der besagten Copie beilegt, dürfte ihm indeß wohl schwer zu erweisen seyn, da dies Prädicat nur einer solchen beigelegt werden kann, in der das Original in allen Theilen, mit allen Eigenschaften und Eigenthümlichkeiten so vollkommen wiedergegeben ist, daß sie selbst von Kennern damit verglichen für daßelbe gehalten und verwechselt werden könne. Die Akademie glaubt überzeugt seyn zu dürfen, daß Herr Hofrath Hirt selbst diese in Rede stehende Copie unter keinen Umständen, obgleich von ihm vortreflich gepriesen, für ein Original des Poussin halten würde. So sehr die Akademie jederzeit sich bestrebt hat das Vertrauen der ihr vorgesetzten Behörde zu verdienen, um so mehr gekränkt muß sie sich fühlen, wahrnehmen zu müßen // daß ihr dasselbe jetzt immer mehr und mehr entzogen wird. Zum Gutachtlichen Bericht über Kunstgegenstände aufgefordert, glaubt die Akademie als hierzu berufene competente Behörde voraussetzen zu dürfen, und zu der Erwartung berechtigt zu seyn, Ein hohes Ministerium werde ein von ihr verlangtes und dem zu folge abgegebenes Gutachten, da es vom Senate ausgehend von rechtlichen, unpartheiischen und Sachkundigen Männern, die als ausübende Künstler die verschiedenen Kunstfächer bearbeiten, abgegeben wird, als genügend und entscheident beachten. Es ist indeß der Akademie bemerklich geworden, daß sie sich hierin getäuscht, indem sie bei mehrern Gelegenheiten aus dem Erfolg ersehen, daß die von ihr amtlich abgegebnen Gutachten theils verworfen, oder doch unbeachtet blieben. Die Akademie siehet den ihr zur Erfüllung des Zweckes ihres Bestehens zuständigen Wirkungskreis immer mehr und mehr beengt, kaum verbleibt ihr noch die Verwaltung des mit ihr verbundenen Elementar Lehrinstituts, sie muß befürchten, daß ihr bald nichts mehr als das Praedicat einer Akademie verbleiben werde, ohne die allen andern in großen Staaten bestehenden Akademien zustehende Wirksamkeit damit zu verbinden. Zu dem Wirkungskreise aller im Auslande bestehenden Akademien gehört es, daß sie die Schüler prüfen und bestimmen müßen, die von Seiten des Staats zu einer ihre höhere Kunstbildung bezweckenden Reise nach Italien Unterstützung erhalten sollen. Daß der hiesigen Akademie ebenfalls diese Wirksamkeit von den bisherigen // Behörden als ihr zustehend anerkannt ward, gehet unter andern aus dem an sie unter dem 11. März 1810 ergangenen Rescripte der damaligen Section des öffentlichen Unterrichts im Ministerio des Innern hervor, in welchen der Akademie bekannt gemacht wird, daß jungen Künstlern, vorzüglich den Zöglingen der Akademie der Künste aus den öffentlichen Fonds ein angemeßenes Reisegeld behufs einer ihre höhere Ausbildung bezweckenden Reise, vorzüglich nach Italien ertheilt werden solle, und die Akademie dem zufolge aufgefordert ward der Section gutachtlich zu berichten wie, da die würdigsten unter ihnen hierzu gelangen sollten, ein solcher Concurs am zweckmäßigsten eröfnet und gehalten werden könnte, welchemnach unter dem 3. April deßelben Jahres ein vollständiger sehr ausführlicher Plan diesen Gegenstand betreffend der erwähnten Section von Seiten der Akademie eingereicht ward. Ein hohes Ministerium findet sich jetzt bewogen Künstler welche mit der Akademie in weiter keiner Verbindung stehen, ohne von ihr geprüft zu werden, nach eignem Ermeßen, dieselbe gänzlich übergehend, dergleichen Unterstützung angedeihen zu laßen. Aus welchen Gründen und nach welchen Ansichten Ein hohes Ministerium hierzu veranlaßt werden möge, so ist es doch, unabgesehen von allem andern, als unausbleiblich zu erachten, daß hierdurch der Akademie das von Seiten der Schüler so unumgänglich zu ihrer Kunstbildung nöthige Vertrauen und die Achtung entzogen wird, die sie für ein Institut wie die Akademie es in höherer Beziehung ist, und zu dem sie bildenden Personale zu ihren eignen Wohle // hegen sollten; welches den Nachtheil zur unausbleiblichen Folge hat, daß die auf der Akademie studirenden Schüler, wenn sie bemerken, daß es nicht darauf ankommt durch Prüfung ihrer Fähigkeiten von Seiten der Akademie allein Unterstützung zu ihrer einstigen Kunstreise, sondern auch anderweitige Veranlaßung sie erlangen können, sie ihre Studien vernachläßigen zu können glauben, und sich den Lehren, von solchen Männern ihnen ertheilt, die ihrer Meinung nach nicht des Vertrauens der Oberbehörde gewürdigt werden, nach Bequemlichkeit und zufolge des der Jugend zum öftern beiwohnenden Eigendünkels entziehen zu dürfen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß ein talentvoller und dem zufolge bescheidener junger Mann, auf der Akademie gebildet, durch sie geprüft, und auf ihre Veranlaßung Unterstützung von Seiten des Staates zu einer seine höhere Kunstbildung bezweckenden Reise nach Italien erhalten hätte, ein von der Akademie ausgehendes Gutachten über seine daselbst verfertigten Arbeiten mit der geziemenden Achtung aufnehmen, und das darin etwa bemerkte zu seiner Belehrung benutzen würde; statt wie der Grospietsch dem die Akademie so fremd als er ihr höchst gleichgültig und unbedeutend ist, sich dagegen aufzulehnen, gekränkt zu fühlen und die ihm unanständige Drohung auszusprechen, eine Copie andern Akademien zum Gutachten zu überschicken. So wenig befremdend ein solches Betragen von Seiten eines jungen Mannes, der mit ihr in keiner weitern Verbindung stehet, der bei seiner Anwesenheit in Berlin Eigendünkel genug besaß, die vom Director ihm ertheilten Rathschläge, welche seine Verwollkommnung in der Kunst bezweckten, zu befolgen nicht benöthigt zu seyn glaubte, seyn muß; // so sehr unerwartet muste es ihr seyn, daß Herr Hofrath Hirt, selbst Mitglied des Senats, und dem es demnach anständig wäre, in geöfneter Sitzung sich mit den übrigen Mitgliedern zu einem etwa abzugebenden Gutachten zu vereinen, sich anmaßte zu Gunsten dieses jungen Mannes ein separates abzugeben, und dadurch eine Corporation zu compromittiren strebte, der er selbst angehört. Wenn die Akademie sich gedrungen fühlt, Erörterungen dieser Art Einem hohen Ministerio ehrerbietigst einzureichen; so darf sie hoffen Hochdaßelbe werde hierin nichts anders als den Eifer erkennen, da wirksam seyn zu dürfen, wo sie es dem Zwecke ihrer Bestimmung gemäß erachtet. Hierdurch veranlaßt, bittet die Akademie Ein hohes Ministerium inständigst, ihr die so lange verheißene Organisation baldigst verleihen zu wollen; damit sie die endliche Bestimmung ihres Wirkungskreises als Akademie dadurch erhalte; und ihr die mit diesem praedicate verbundene Wirksamkeit zugestanden und der Standpunkt angewiesen werden, dem sie zufolge des in der Cabinets Ordre d.d. Königsberg den 15. Juny 1809 ausgesprochenen Königlichen Willens einzunehmen hat. Die Akademie siehet sich indeß, wenn sie laut dieser Cabinet Ordre vom Curatorio nicht mehr abhängig erklärt wird, nicht als unabhängig von dem was Einem hohen Ministerio als ihr vorgesetzter Oberbehörde zustehet an, und wird diesem sich jederzeit willig unterwerfen, und wenn in eben dieser Cabinet-Ordre gesagt wird, die Akademie solle in sich die möglichste Freiheit genießen, so erkennt sie in dieser keine andre als die im Kunsturtheile ihr zustehende, und in der Bestimmung alles deßen, was zur Erweckung des Kunstsinns // im Vaterlande erforderlich, zur Verbreitung des Geschmacks in der Kunst beitragen kann, vaterländische Kunst im allgemeinen umfaßt, und deren Ausübung betrift. Stets hat die Akademie sich des Vertrauens Eines hohen Ministerii würdig bezeigt. Fern von allem persönlichen Intereße hat das sie bildende Personale zu jeder Zeit, unter allen Umständen, ohne daß ihnen Verbeßerung im Gehalte oder anderweitige Aufmunterung zu Theil geworden wäre, nie aufgehört, die ihnen obliegenden Pflichten auf das gewißenhafteste zu erfüllen; und der Eifer nach Kräften für den Zweck ihrer Bestimmung wirksam seyn zu können, ist nie erkaltet: Tief kränkend muß es der Akademie dahero seyn, das ihr von allen frühern ihr vorgesetzten Ober-Behörden geschenkte Vertrauen sich jetzt entzogen zu sehen. Berlin den 29. Januar 1823. Königliche Akademie der Künste.G. Schadow / Director C. Schumann / z. Secret. ad. int.